Gruppe von Forschenden begleiten in Altstadt Lieferrobotor

RoboTraces – Moderne Logistik mit Hilfe von Mikromobilen

Die autonome Beförderung in selbststeuernden Fahrzeugen scheint uns mittlerweile eine vertraute Vision einer nicht mehr allzu fernen Zukunft. Unzählige Akteure aus verschiedenen Bereichen von akademischer Wissenschaft über kommerzielle Projekte von Unternehmen aus der Wirtschaft bis hin zu Programmen der öffentlichen Verwaltung sind damit beschäftigt, diese neuen Formen der individuellen Mobilität zu konzipieren und ihre technische sowie rechtliche Realisierung intensiv voranzutreiben. Weit weniger Aufmerksamkeit erhalten dagegen kleinere autonom operierende Systeme, sogenannte Mikromobile, die auf Fuß- und Radwegen fahren. Diese kleinen Transportfahrzeuge bringe Waren selbststeuernd von Punkt a zu Punkt b, säubern die Umgebung oder bringen E-Roller zu Mietstationen zurück. Sie sorgen für Entlastung, indem sie zum Beispiel Senior:innen bei ihren alltäglichen Erledigungen unterstützen. Zwar ähneln sich manche der Herausforderungen zu jenen des autonomen Fahrens, es bestehen in diesem Bereich aber auch gänzlich eigene ingenieurwissenschaftliche Fragestellungen.

Im Projekt „RoboTraces. Robots are in town“ erschließt eine Gruppe von Forschenden also ein bis dato wenig beachtetes Transportmittel, das sich als ein Element im Transformationsprozess der modernen Mobilität und des Warenverkehrs ausnimmt. Prof. Sebastian Zug von der Technischen Universität Bergakademie Freiberg und Prof. Frank Schrödel von der Hochschule Schmalkalden gehen dabei nicht nur Fragen der technischen Umsetzung nach, ihr Ansatz weist ferner eine Erweiterung der Perspektive um eine rechtliche und sozialwissenschaftliche Dimension gerade in Hinsicht des praktischen Gebrauchs der Roboter und deren alltäglichen Interaktionen mit Menschen auf.

Gruppe von Studierenden beim Austausch
Workshop in Freiberg

Die kooperative Interdisziplinarität, die sich auch an den Arbeitsfeldern der beteiligten Wissenschaftler:innen ablesen lässt, dient dazu, die autonome Mikromobilität aus differenzierten Blickwinkeln zu beleuchten. Hierzu müssen unter anderem zwei Perspektiven, die sich wesentlich unterscheiden, verschränkt werden: Die Sicht der Mikromobile und die Sicht der Umwelt. Dies meint, dass sowohl die technischen Herausforderungen und infrastrukturellen Bedingungen der autonomen Logistik im Fokus stehen wie die Akzeptanzkriterien der Gesellschaft im Umgang mit den Robotern. Aus dieser Anlage wird klar, wie breit gefächert der Katalog an Aufgaben und Themen ist, denen sich die Beteiligten in dem Projekt widmen.

Das Ziel ist der Weg

Anders als die autonomen Fahrzeuge des Individualverkehrs sollen sich die Mikromobile zumeist nicht auf Straßen bewegen, sondern auf den Fuß- und Radwegen unserer Innenstädte und Wohnviertel. Sie befahren mithin Bereiche der Öffentlichkeit, auf denen sich Passant:innen auf je eigene Weise fortbewegen, mal langsam und mal schnell, mal gerade und mal mäandernd usw. Zwei Aufgaben kommen zusammen: Einerseits müssen sich die Roboter selbst steuern können und die Fähigkeiten haben, sich auf unterschiedlichem Terrain zu orientieren und Hindernisse zu erkennen sowie diese zu überwinden. Andererseits bewegen sich die Fahrzeuge in einem geteilten Raum, in welchem sie auf andere Verkehrsteilnehmer reagieren müssen. Letzteres ist ein diffiziles Problem, da diese Einschätzung untern anderem eine Qualität der Prognose, also die Abschätzbarkeit menschlichen Handelns, verlangt.

Gruppe von Menschen, zwei Personen übeprüfen Konfiguration des Lieferroboters mithilfe eines Tablets
Konfiguration der Robotor

Wie die autonomen PKWs müssen die Roboter auf ihre Umwelt achten und etwaige Gefahrenquellen erkennen, um sich möglichst sicher in dem engen, geteilten Raum der Innenstädte fortbewegen zu können. Die Transportroboter sind so zu programmieren, dass sie stoppen, sofern absehbar ein Risiko auftritt; und eben dafür müssen sie Bewegungsabläufe in einem gewissen Maße voraussehen können, also was die eventuellen nächsten Schritte sein könnten oder was es für Folgen hätte, wenn die Person spontan anhalten würde. Für diese Einschätzung bedarf es einer großen Mengen an Daten des Verhaltens von Passant:innen im öffentlichen Raum, die bislang in der benötigten Form und Qualität nicht vorliegen.

Die grundlegende Intention des Forschungsprojektes ist es, die für die Akzeptanz zentralen Parameter des Einsatzes autonomer Lieferroboter im öffentlichen Raum wie Größe, Geschwindigkeit und Abstand zu bestimmen und zudem über eine systematische Datenerhebung Interaktionsmuster und objektive Rahmenbedingungen zu konkretisieren. In zwei prototypischen urbanen Testgebieten in Gera und Freiberg wird der Einsatz der Roboter bis zum Herbst 2023 erprobt und zugleich die Reaktion der Umgebung, also der Umgang der Passant:innen mit den Robotern, gesichtet und wissenschaftlich ausgewertet. Durch die langfristige Anlage der Testphasen können verschiedene Szenarien von Licht- und Wetterverhältnissen bis hin zum unterschiedlichem Aufkommen von Passant:innen einbezogen und somit das Bild der gewonnen Daten diversifiziert und vervollständigt werden. So entsteht eine belastbare Datenlage, die weiteren Forschungsvorhaben als sicherer Ausgangspunkt dienen kann.

Die Schwere des scheinbar Leichten

Die Konstruktion solcher Roboter und die Automatie ihrer Bewegung im Raum ist dabei alles andere als ein unterkomplexes Problem. Nur als ein Beispiel wird hier auf die Herausforderung der räumlichen Wahrnehmung kurz eingegangen. Zunächst erkennen Transportroboter ihre Umwelt – neben anderen Sensoren – wenig überraschend mit Hilfe von Kameras. Aber schon wird es schwierig und wir Menschen müssen uns von unserem Zugang zur Welt trennen: Die von den Kameras erzeugten Bilder sind zunächst zweidimensionale Flächen, denen die dritte Dimension, also der Raum, fehlt. Wir müssen uns dies als ein klassisches Foto denken, auf dem alles zunächst auf einer Ebene liegt. Um hierin weitere Dimension wie den Raum und die Zeit einzutragen, die beide für das Abschätzen von Bewegungen zentral sind, bedarf es wiederum technischer Lösungen.

Austausch zweier Personen beim Workshop
Austausch beim Workshop

Ein Weg, die dritte Dimension zu integrieren, ist die Verwendung zweier Kameras und eine daran anschließende computergestützte Verarbeitung. Durch die so gewonnene Räumlichkeit lassen sich Distanzen und Bewegungen einschätzen, auch wenn es hierfür wiederum komplexer Prozesse der Datenverarbeitung bedarf, was wiederum einen Zusatz an technischem Aufwand mit sich führt. Zugleich sind im Straßenverkehr das Tempo und die Genauigkeit der Berechnung relevante Faktoren um Unfälle vorab zu vermeiden. Was also zunächst einfach klingt – die Wahrnehmung der Umwelt – entpuppt sich als eine komplizierte technische Aufgabe.

Teile des Ganzen

Zum einen befassen sich die RoboTracers mit der technischen Realisierung der Transportroboter: Wie müssen diesen für den urbanen Raum aufgebaut und gestaltet sein, um ihre Aufgaben optimal erfüllen zu können? Neben Fragen der Größe, der möglichen Reichweite und Traglast geht es auch um die Rahmenbedingungen der Infrastruktur, die in Hindernissen wie Bordsteinen, Schrägen und Löchern sowie fehlender Beleuchtung bestehen können. Auf was, für welche Situationen muss ein Lieferroboter im Zweifel vorbereitet sein? Auch Fragen wie jene der benötigten Breite der Wege spielen hier eine Rolle.

Testfahrt Lieferrobotor, begleitet von zwei Personen
Testfahrt in Freiberg

Zum anderen geht es dem Projekt um die Erhebung von Daten, die den Einsatz der Roboter unter realistischen Bedingungen abbilden und als Grundlage für die weitere Entwicklung dienen können. Die Frage ist, welches Set an Sensoren hier die notwenigen Daten über die Umgebungserfassung und das Verhalten der Passanten liefern. Ferner bedarf es komplexer Bearbeitungsprozesse, um aus einer reinen, ungeordneten und im Zweifel recht umfänglichen Sammlung an Daten nutzvolle Informationen zu selektieren.

Der dritte Teil stellt dann die Mensch-Maschinen-Beziehung in ihr Zentrum: Wie lassen sich Kriterien und Parameter eines subjektiven Sicherheitsgefühls in ein tragfähiges Akzeptanzmodell überführen? Wie müssen die Roboter aussehen und wie sollten sie sich bewegen, um einerseits nicht als potentielles Risiko oder eine Gefahrenquelle wahrgenommen zu werden und andererseits im Fußgängerverkehr nicht unterzugehen? Um sich der Interaktion zwischen Passant:innen und den Mikromobilen anzunähern, werden die Testfahrten begleitet und die Reaktionen der Umgebung videographisch festgehalten, um in einem nächsten Schritt ausgewertet zu werden. Wie es grundlegende Ansätze der Forschung an sich haben, bedarf es auch hier zunächst der Entwicklung von Maßstäben und Kriterien der Bewertung, um über diese dann weitere, vertiefende Studien ausführen zu können.

Gruppe von Menschen begleitet Testfahrt
Testfahrt in Freiberg

Nicht zuletzt geht es dem Projekt auch um die Klärung, ob und wie rechtliche Rahmenbedingungen für diese Form der Logistik notwendig sind und wie diese ausgestaltet werden müssen. Um die Fragen gesetzlicher Anpassungen im Straßenverkehrs-, Haftungs- und Datenschutzrecht eruieren zu können werden auch die Erkenntnisse aus den anderen Bereichen herangezogen. Dies soll den Weg ebnen für den späterem Einsatz der Lieferroboter und administrative Genehmigungsverfahren als Grundlage dienen.

Über die Beteiligten

Prof. Frank Schrödel hat die Professor für Antriebs-, Automatisierungs- und Robotertechnik an der Hochschule Schmalkalden inne, die an der Fakultät für Maschinenbau angesiedelt ist. Die Leitthemen seiner Forschung sind das autonome Fahren, die Industrie 4.0 und Social Robots. Die Klärung der rechtlichen Aspekte übernimmt Prof. Ulf Müller aus dem Bereich Wirtschaftsrecht an der HSM. Er ist zudem Teil des Forschungsschwerpunktes „Rechtsordnung der digitalen, nachhaltigen und standardisierten Wirtschaft und Gesellschaft“, was die Nähe zum RoboTrace-Projekt nochmals verdeutlicht.

Prof. Frank Schrödel

An der Technischen Universität Bergakademie Freiberg hat Prof. Sebastian Zug die Professur für Softwaretechnologie und Robotik und ist zugleich an der Arbeitsgruppe Softwareentwicklung und Robotik beteiligt. Seine Forschungsschwerpunkte im Horizont mobiler Systeme liegen auf der robusten Umgebungserfassung und Erreichbarkeitsanalysen in realen Szenarien.

Prof. Sebastian Zug

Neben wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Partnern aus Politik und Wirtschaft lässt sich die Einbindung von Assistant Professor Felix Wilhelm Siebert hervorheben, der an der Technischen Universität Dänemark im Bereich der Verkehrspsychologie forscht. Neben der Experimentalpsychologie widmet er sich Mensch-Maschinen-Verhältnissen und Fragen der Fahrzeug- sowie Verkehrssicherheit.

Assistant Professor Felix Wilhelm Siebert

Zum Abschluss kann noch auf ein Video der Allianz ThürIng verwiesen werden, das aus Anlass des Workshops entstanden ist:

Wir bedanken uns für die finanzielle Unterstützung des Projektes durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr unter dem Förderkennzeichen 19F1117A (Förderprogramm mFUND).

Zeitinkonsistenz: Über die Hemmnisse wirtschaftspolitischer Reformen

Zeitinkonsistenz: Über die Hemmnisse wirtschaftspolitischer Reformen

Bericht aus dem Forschungssemester

Der Begriff der Zeitinkonsistenz ist ebenso komplex wie er in verschiedenen disziplinären Kontexten unterschiedliche Charakteristika aufweist. Zeitinkonsistenzen bestehen zunächst allgemeinhin dann, wenn sich ein Faktor, zum Beispiel eine Einstellung gegenüber einem Thema, im Laufe der Zeit verändert, obwohl die relevanten Einflussgrößen stabil bleiben und folglich nicht die Ursache für den Wandel sind.

Lebensweltlich lässt sich unser Verhältnis zu Diätplänen mit diesem Begriff ganz gut beschreiben: Fassen wir das Vorhaben, in zwei Wochen mit einer Diät zu beginnen, überzeugt uns dieses Ansinnen vollständig und wir sind von dessen Realisierbarkeit und unserem Willen, das Projekt nun endlich anzupacken, vollends überzeugt. Rückt aber der Zeitpunkt einer aktiven Umsetzung näher, umso mehr verliert der Plan an Attraktivität und letztlich auch an unserer Unterstützung. Begänne die Diät bereits morgen, schöben wir sie bedeutend schneller auf. In der Zeit ändert sich also die Bewertung, auch wenn die äußeren Parameter gleichbleiben.

Prof. Robert Richert aus der Fakultät der Wirtschaftswissenschaften versucht, dem Begriff eine weitere Facette hinzuzufügen und mit seiner Hilfe sowohl Phänomene der Wirtschaftspolitik zu erschließen als auch ein Konzept für die Einschätzung der sozioökonomischen Lage bereitzustellen. Nach seiner Definition liegen Zeitinkonsistenzen dann vor, wenn der relevante Zeithorizont der Entscheider kürzer ist als der relevante Zeithorizont, dessen die nachhaltige Lösung eines Problems bedarf.[1]

Gegenstände wie die demografische Zeitbombe und das Ausbleiben einer adäquaten politischen Reaktion ließen sich mit Hilfe des Begriffs beschreiben: Die Statistik der Bevölkerungsentwicklung weist seit 1972 ununterbrochen Sterbeüberschüsse für Deutschland auf. Wie es an der Geburtenrate von 1,53 Kindern pro Frau offenkundig wird, schrumpft die Bevölkerung, obgleich Zuzüge diese Entwicklung partiell abmildern. Da viele Sozialstrukturen der Bundesrepublik auf generationenübergreifenden Umlagesystemen beruhen, also beispielsweise die Renten zum großen Teil über die Beschäftigung der Arbeitnehmenden finanziert werden, resultieren aus der Diskrepanz der Bevölkerungsentwicklung auch in anderen Bereichen massive Konsequenzen.  Da folglich einer abnehmenden Zahl an Einzahlenden eine zunehmende Zahl von Empfangenden gegenübersteht, wäre es die Aufgabe der politisch verantwortlichen Personen, den negativen Effekten dieser Entwicklung vorausschauend und langfristig korrigierend zu begegnen. Zugleich spitzt sich diese Situation gegenwärtig noch mehr zu, weil in der Bundesrepublik in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen werden und sich in der Folge das Missverhältnis weiter vergrößert.

Mit der Zeitinkonsistenz versucht sich Prof. Richert der spezifischen Frage anzunähern, warum trotz der offenkundigen Evidenz und der Relevanz des Problems sich die Politik inkompetent zu dauerhaften, strukturellen Lösungen zeigt. Die zeitliche Einengung politischen Handels wird durch den Zeithorizont von Legislaturperioden nur noch vergrößert, der das Handeln politischer Amtsträger prägt und einschneidende politische Entscheidungen in dem Maße unwahrscheinlicher macht, wie die nächsten Wahltermine näher rücken. Die Zeitinkonsistenz würde in dieser Lesart ein strukturelles Defizit periodischer Legitimierung politischer Funktionsträger bezeichnen, durch das langfristige und tiefgreifende Reformen gehemmt werden. Solche und andere Verengungen des Zeithorizontes verhindern also nachhaltige Lösungsansätze der Politik.


[1] Richert. Robert: Grundlagen der Volkswirtschaftslehre aus globaler Sicht, Wiesbaden 2021, S. 52

Forschungsdatenmanagement an Fachhochschulen. Die Hochschule Schmalkalden als Teil des neuen Kompetenzclusters FDM-HAWK

Forschungsdatenmanagement an Fachhochschulen. Die Hochschule Schmalkalden als Teil des neuen Kompetenzclusters FDM-HAWK

Forschungsdaten können in unterschiedlichen Formaten vorliegen, die untereinander inkompatibel sind oder spezifischer Programme für ihre Verarbeitung bedürfen. Die Heterogenität von Forschungsdaten, also ihre Unterschiedlichkeit, führt dazu, dass sich ihre Les- und Nutzbarkeit ebenso einschränkt wie die Möglichkeiten ihrer Verwaltung und Archivierung.

Damit die großen Datenmengen aus der praxisbezogenen Forschung an Hochschulen für angewandte Wissenschaften von Akteuren unterschiedlicher Disziplinen effizient und barrierearm aber abgestimmt und zugangsberechtigt genutzt werden können, bedarf es eines gewissen Maßes an Standardisierung des Materials und seiner Archivierung. Zu diesem Zwecke gründete sich das Kompetenzcluster FDM-HAWK, welches das Forschungsdatenmanagement (FDM) an den Thüringer Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) strukturell unterstützen will. Diese Kooperation zwischen der Fachhochschule Erfurt, der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, der Hochschule Nordhausen und der Hochschule Schmalkalden wird dabei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert sowie von der Europäischen Union finanziert.

Zunächst geht es in dem Projekt darum, den Status quo zu eruieren und zu analysieren, welche Bedarfe es zum Thema FDM an den beteiligten Hochschulen gibt. Hierzu werden in einem ersten Schritt Modellprojekte aus den Bereichen der Ingenieur-, Natur- und Sozialwissenschaften ausgewählt und exemplarisch über die Projektlaufzeit durch Handreichungen zum Forschungsdatenmanagement begleitet. An der Hochschule Schmalkalden trägt das entsprechende Modellprojekt der Fakultät Maschinenbau den Titel: „Kunststoffverpackungen. Nachhaltige Kreislaufwirtschaft durch Künstliche Intelligenz“ und ist selbst Teil des Themenclusters „Ganzheitliche KI-basierte Optimierung von Kunststoffverpackungen mit Rezyklatanteil“ (KIOptiPack).

Ziel des FDM-HAWK-Projektes ist es, eine Supportstruktur im Bereich FDM zu entwickeln und an den Thüringer HAWs aufzubauen. Es gilt hierbei ebenso auf die lokalen Situationen und Bedürfnisse angepasste Konzepte des Forschungsdatenmanagements zu erarbeiten wie Beispiele gelungener Umsetzung zu sammeln und als „Best Practice“-Muster in die Forschungsorganisation zu implementieren. Nicht zu vergessen ist die Schaffung der technischen Infrastruktur für das FDM und die Integration in regionale und überregionale Netzwerke. Die Untersuchungen zu den Fragen Datensicherheit und -zugänglichkeit werden ebenfalls in dem Projekt betrachtet. Wenn Forschungsdaten in Folgeprojekten weitergenutzt werden sollen, braucht es hierfür Formate und Strukturen, die Weiternutzung und auch den Austausch ermöglichen und unterstützen.

Der Ansprechpartner für das Projekt an der Hochschule Schmalkalden ist Dr. Peer Fehling.

Herr Fehling ist studierter Chemiker und hat in den letzten Jahren an unterschiedlichen Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der Materialwissenschaften gearbeitet. Im Zentrum seines Interesses stehen Verbundwerkstoffe mit anorganischen und organischen Matrizes, Klebstoffe und lebensmitteltechnologische Prozesse.

„Wir möchten mit dem Projekt FDM-HAWK zusammen mit unseren Projektpartnern Voraussetzungen für ein effizientes Forschungsdatenmanagement an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften etablieren. Es geht dabei in erster Linie um eine organisierte Langzeitspeicherung der mit öffentlichen Forschungsmitteln gewonnenen Forschungsdaten. Wir reden hier über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren. Ob diese Forschungsdaten ausschließlich zur eigenen Verfügung des Forschenden archiviert oder teilweise anderen Forschenden im Rahmen von „Open Access“ zugänglich gemacht werden, entscheidet der Forschende letztlich selbst. Dafür steht ihm ein umfangreicher Pool sogenannter „Creative Common“-Lizenzen zur Verfügung. Wir möchten durch Informationsveranstaltungen und persönliche Gespräche die Forschenden an unserer Hochschule über diese Thematik informieren und für eine Zusammenarbeit gewinnen.“ 

Der E-Science-Day 2022. Ein kleiner Einblick in ein facettenreiches Forschungsspektrum

Der E-Science-Day 2022. Ein kleiner Einblick in ein facettenreiches Forschungsspektrum

Mitte Dezember fand der E-Science Day 22 an der Hochschule Schmalkalden statt. Ziel der halbtägigen Veranstaltung war es, die vielen Projekte und Forschungsaktivitäten an der Fakultät Elektrotechnik in die Öffentlichkeit zu tragen. Zugleich ergab sich die Möglichkeit, die Attraktivität der Studiengänge und die sich mit dem Abschluss bietenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt den gastierenden Schulklassen aus der Region vor Augen zu führen.


Am Anfang standen die Begrüßungsworte von Prof. Maria Schweigel, die die verschiedenen Facetten der Fakultät auffächerte. Diese Übersicht über die vielfältigen Bachelor- und Masterstudiengänge diente als leitende Orientierung für die Schulklassen: Was macht die verschiedenen Studiengänge aus, worin liegen ihre Schwerpunkte des Studiums und wohin führen die möglichen Pfade nach dem Abschluss? Das gegenwärtig allzu vernehmbare Raunen des Wortes Fachkräftemangel klingt in den Ohren dieser Studierenden eher wie ein Versprechen guter und sicherer Arbeitsplätze.


Ionenkanäle als Medien des Transports


Im ersten Vortrag, gehalten von Prof. Eckhard Schulz, stand ein Thema der Grundlagenforschung im Zentrum: Ionenkanäle – das sind porenbildende Transmembranproteine, die elektrisch geladenen Teilchen, also den Ionen, das selektive Durchqueren von Biomembranen ermöglichen. Mit ihrer Steuerbarkeit durch Botenstoffe, das Membranpotenzial oder auch äußere Einflüsse, sind sie auf Zellebene nahezu an allen Lebensprozessen beteiligt, wie z.B. im Nervensystem oder bei Stoffwechselvorgängen. In diesem Forschungsgegenstand verbinden sich dementsprechend Teilgebiete aus Medizin/Biologie mit Spezialgebieten von Physik/Mathematik, wobei diese Verknüpfung auch an der langjährigen Kooperation der Hochschule Schmalkalden mit dem Physiologischen Institut des Universitätsklinikums Jena deutlich wird.

Prof. Eckhard Schulz


Prof. Schulz erläuterte, wie sich das stochastische Schaltverhalten der Ionenkanäle durch mathematische Modelle beschreiben lässt und wie man die Modellparameter aus experimentellen Daten von Patch-Clamp-Messungen ermitteln kann. Diese so besser zu verstehenden Transportprozesse sind u.a. für pharmakologische Anwendungen von Interesse, da viele Medikamente ihre Wirkung gerade durch die gezielte Beeinflussung bestimmter Ionenkanäle entfalten.


Über organisatorischen Herausforderungen der Nutzung von Windenergie


Den zweiten Vortrag übernahm Assoc. Prof. Faruk Ugranlı von der Bartin University (Türkei), der sich gerade als Gastwissenschaftler an der Hochschule Schmalkalden aufhält. Im Blickpunkt seiner Forschung steht die Infrastruktur der Energieversorgung und die Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung von Windenergie. Der Energiebedarf moderner Gesellschaften wächst nicht nur beständig, die Energieversorgung ist auch das Fundament ihres Wohlstandes. Zu diesen Aufgaben kommt noch die Herausforderung hinzu, dass die Energie langfristig weder aus fossilen noch atomaren Quellen stammen soll. Um diesen gesellschaftlichen Auftrag der Energiewende zu einem Erfolg zu machen, ist es mithin geboten, die Potentiale regenerativer Energien für eine stabile Versorgung zu analysieren.

Assoc. Prof. Faruk Ugranlı


Die Vorteile der Windenergie liegen auf der Hand: Sie ist günstig und sauber, die Effizienz moderner Windräder immer höher. Auf der negativen Seite stehen indes ihre fehlende Konstanz und Planbarkeit, wodurch sie sich nicht als alleiniger Energieträger eignet. Zugleich sind die potentiellen Ressourcen an Windenergie ungleich verteilt: Den windreichen Küsten Norddeutschlands steht kein süddeutsches Pendant gegenüber. Folglich muss Energie verteilt werden, und dies bedarf wiederum gut ausgebauter sehr großflächige Netzwerke der Energieinfrastruktur, um für erneuerbare Energien ungünstige Wetterlagen ausgleichen zu können. Genau hierfür gilt es, Konzepte der Optimierung zu entwickeln.


Das Verhältnis von Material und Struktur


Dr. Martin Seyring, noch recht frisch an der Hochschule Schmalkalden, verband einen Rückblick auf seiner bislang verfolgten Forschungsinteressen mit einem Ausblick darauf, womit er sich an der Hochschule Schmalkalden beschäftigen will. Grundsätzlich widmet er sich der Beziehung von Material und Struktur: Welche Auswirkungen haben Herstellungsprozesse und Einflüsse wie Wärme und Druck auf die nanoskaligen Strukturen der verwandten Materialien? Welche positiven, welche negativen Effekte zeitigt dieses oder jenes Material, dieses oder jenes Verfahren; wie lassen sich nutzvolle Eigenschaften bewahren, negative Effekte vermeiden? Um diesen Phänomenen nachzuspüren, verwendet Seyring ein Elektronenmikroskop, dessen Darstellung bis zu einer Auflösung im Nanometerbereich reicht. So lassen sich kleinste und feinste Veränderungen der Struktur des Materials entdecken.

Dr. Martin Seyring


Da wir uns hier nicht in den Details verlieren können, müssen ein paar wenige Sätze zu den Forschungsprojekten ausreichen: Wie lässt sich das Material von sogenannten Supermagneten optimieren? Welche Folgen haben unterschiedliche Temperaturen für die Werkstoffe, bzw. wann verändern sich die Kristalle und welche Effekte hat dies auf den Magnetismus? Siliziumbatterien sind in unserem Alltag kaum mehr wegzudenken, dennoch sind die genauen Vorgänge in den Ladungs- und Entladungsprozessen noch recht unerforscht. Seyring ging es neben der Charakterisierung des Strukturwandels in den Graphit-Anoden um die Frage der symmetrischen oder asymmetrischen Verteilung der Ladungen und welche Folgen eventuelle Ungleichgewichte für die Stabilität der Akkus haben. Die elektronischen Kontakte von spezifischen KZF-Steckverbindungen lassen sich als drittes Beispiel anführen: Hierbei war es die Frage, wie sich der Kontakt in Anhängigkeit vom Material optimieren lässt. Wegmarken beim Verständnis auftretender Probleme bei den Steckverbindungen waren die Temperatur, die Kristallographie und mögliche Oxidrückstände auf den Stiften. An der Hochschule Schmalkalden will sich Seyring im Bereich der Halbleiter-Sensoren einbringen: Neben der grundsätzlichen Charakterisierung von Materialien soll es ihm um die Beurteilung von Füge- und Bondprozessen gehen, unter anderem in Hinsicht der Auswahl der geeignetsten der Materialien, ihrer Dicke und Kombinationen.


Die Alltäglichkeit von Sensoren


Krankheitsbedingt konnte ein Teil der Vortragenden nicht vor Ort sein. Prof. Roy Knechtel übernahm es, die angedachten Themen vorzustellen. Jonas Distel untersuchte die Funkübertragungsstandards für die Umsetzung neuer Geschäftsprozesse und die Optimierung der Energielieferung bei Energieversorgungsunternehmen. Fragen waren neben der Verbreitung und Belastbarkeit der Datenverbindungen auch die Abwägung zwischen kommerziellen und nicht kommerziellen Modellen. Frau Dr. Manuela Göbelt ist Program-Managerin bei der X-FAB MEMS Foundry GmbH und befasste sich mit dem Thema: “Wafer Level Packaging for Advanced MEMS based on Wafer Bonding and TSVs” und arbeitet dabei eng mit Prof. Knechtel zusammen. Wie Roy Knechtel beispielhaft an modernen In-Ear-Kopfhörern vorführte, ist zeitgemäße, mittlerweile allgegenwärtige Technik voll mit hochkomplexen, kleinen Sensoren. Die technische Finesse ist auch anhand aktueller Smartphones und ihren Möglichkeiten offenkundig: Neben Lautsprechern und Mikrophonen beinhalten diese Navigations- und Ortungselemente, Fotosensoren und Temperaturmesser usw. Und dies alles auf kleinstem Raum. Die Forschung geht hier in Richtung der Optimierung und weiteren Minimierung der verschiedenartigen Komponenten wie Sensoren, sollen die Endgeräte doch immer kleiner und flacher dabei aber auch immer leistungsfähiger und komfortabler werden.

Prof. Roy Knechtel


Kurzum lässt sich festhalten: Das Tableau der Projekte und Forschungsvorhaben an der Fakultät der Elektrotechnik ist mannigfaltig und bietet Forschenden verschiedene Möglichkeiten, ihre kreative Neugier auszuleben und Vorhaben umzusetzen. Hierzu passend stand am Abschluss des Tages das Schülerforschungszentrum im Fokus, welches demnächst in Räume der Fakultät der Elektrotechnik umzieht und sich die Räumlichkeiten mit einem neuen Elektrotechniklabor für Studierende teilen wird. Damit Schülerinnnen und Studierende sich auch künftig ihrem Forschungsdrang nachgehen können, bemüht sich unter anderen Prof. Knechtel gerade darum, einen Grundstock an technischer Ausrüstung am neuen Ort zusammenzutragen und zur Verfügung zu stellen. Wissenschaft beginnt mit einem neugierigen Blick auf die Welt: Genau hier will das Schülerforschungszentrum, auch mit Unterstützung der Fakultät Elektrotechnik, ansetzen und die Reise der Entdeckung unterstützend begleiten.

Mensch – Interaktion – Technologie: Über einen Forschungsschwerpunkt an der Hochschule Schmalkalden

Mensch – Interaktion – Technologie: Über einen Forschungsschwerpunkt an der Hochschule Schmalkalden

An der HSM gründete sich jüngst ein interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt mit dem programmatischen Titel „Mensch – Interaktion – Technologie“, kurz MIT. Die drei das Projekt tragenden WissenschaftlerInnen stellen verschiedene gesellschaftlich relevante Herausforderungen unserer digitalen Moderne in den Fokus ihrer Forschung: Wie lassen sich menschenzentrierte, interaktive Technologien als physische und virtuelle Ressourcen nutzen? Wie kann eine schwellenarme Kommunikation zwischen Mensch und Maschine im Alltags- und Arbeitsleben organisiert werden und wie lässt sich diese Beziehung in Zukunft weiter optimieren?

Offene Horizonte der digitalen Moderne

Wie wird die Welt von morgen aussehen? Verglichen mit dem Gestern ist zu vermuten, dass die Momente der Digitalisierung und Automatisierung ebenso anhalten wie die Durchdringung unserer Alltags- und Arbeitswelten mit hochkomplexen Geräten und Applikationen. Technologische Innovationen nehmen sich demgemäß als hilfreiche Stützen und Erweiterungen unserer Handlungs- und Kommunikationsmöglichkeiten aus, deren zukünftige Potentiale gegenwärtig noch kaum abschätzbar sind.

Die Veränderungen gewinnen nur langsam Kontur, zeitigen aber bereits heute markante Einschnitte im Alltag, wie es an der Bedeutung von Smartphones deutlich wird. Aber auch in anderen Bereichen wie der Automatisierung der Logistik und der unterstützenden Robotik in der Pflege wird die Transformation zunehmend greifbar.

Interdisziplinarität als Schlüssel

Mensch – Interaktion – Technologie: Dieses Dreiecksverhältnis steht im Fokus eines Forschungsschwerpunktes an der Hochschule Schmalkalden. Innovative Technologien wie Roboter, Interfaces und auch Applikationen können Menschen in ihrem Alltag ebenso unterstützen wie in ihrem Arbeitsleben entlasten. So könnte ein Großteil monotoner, industrieller Routinearbeiten und viele Warentransporte zukünftig von autonomen Maschinen übernommen werden. Kurzum geht es darum, das Arbeiten der Menschen einfacher und ihr Leben leichter zu machen. Damit die technischen Angebote allerdings ihre Potentiale vollends ausschöpfen können, müssen sie von den Menschen angenommen und in ihr Leben, Arbeiten und Handeln integriert werden.

Um die Beziehung von Mensch und Technik zu verstehen, ist ein interdisziplinärer Zugang geboten, der verschiedene Fachbereiche wie Maschinenbau, Informatik und Psychologie kooperativ verbindet. Die Vielfältigkeit der je eigenen Perspektiven und Methoden erlaubt es, das Phänomen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und in seinen Facetten zu erhellen. Die Disziplinen verschränken sich also konstruktiv in ihrem leitenden Erkenntnisinteresse, dem Verhältnis von Mensch, Interaktion und Technologie.

Zwischen Mensch und Maschine

Die Möglichkeiten technischer Innovation treffen auf Erfahrungen und Wertmaßstäbe von Individuen: Wie entsteht Vertrauen? Oder schwächer: Wie lassen sich abwehrende Affekte vermeiden, Berührungsängste abbauen? Welche Optik, welche Geschwindigkeit müssen technische Geräte wie Lieferroboter aufweisen, um beispielsweise im Straßenverkehr nicht als Hindernis wahrgenommen zu werden? Welche Schwellen stören die Interaktion, welcher bedarf es? Aber auch anderes herum: Wie kann Technik menschliches Verhalten besser einschätzen lernen, wie angemessener reagieren? Genau um diese Beziehung kommunikativer Interaktion von Mensch und Maschine geht es dem Forschungsschwerpunkt an der Hochschule Schmalkalden.

Abseits der Frage der technischen Realisierbarkeit ist es also von ebensolcher Relevanz, wie Individuen und Gesellschaften auf die Veränderungen und Umbrüche, die mit neuen Technologien einhergehen, reagieren: Was technisch möglich und umsetzbar ist, muss ebenso im Fokus stehen wie ein Verständnis dessen, wie Menschen mit den Apparaten umgehen, was sie von den angebotenen Lösungen erwarten und was es ihnen erleichtert, auf die Unterstützung von Maschinen zurückzugreifen. Im Blick des MIT sollen demzufolge nicht nur innovative Geräte und Applikationen stehen, sondern auch der individuelle und soziale Umgang mit diesen Technologien.

Die beteiligten ForscherInnen

Prof. Hartmut Seichter lehrt seit 2014 an der Fakultät Informatik auf dem Gebiet der Computergrafik. Er forscht zu den Themen Augmented Reality, Virtual Reality, Emerging Interfaces, Digital Design, 3D Modellierung und 3D Rekonstruktionen.

Prof. Lenka Duranova lehrt seit 2021 als Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften. Aktuell forscht sie zu Erholung und Wohlbefinden von Beschäftigten in der digitalisierten Arbeitswelt. Darunter fallen Themen wie Technologie-Anforderungen, Informationsflut, ständige Erreichbarkeit, Technostress, Telepressure, Selbstregulation, Schlafqualität, Arbeitszufriedenheit, Mitarbeiterbindung und Produktivität.

Prof. Frank Schrödel lehrt seit 2020 als Professor für Automatisierungstechnik und Robotik an der Fakultät Maschinenbau. Er forscht zum Thema Autonomes Fahren, Industrie 4.0 und Social Robots. Hierbei nehmen zwei Themen eine zentrale Rolle ein: Feinfühlige Roboter und selbstoptimierende Automatisierungslösungen.

Organe, Pumpen und künstliche Körper. Über den Beitrag des TEAG-Preisträgers Lukas Hauck zum Transport von Organen

Organe, Pumpen und künstliche Körper. Über den Beitrag des TEAG-Preisträgers Lukas Hauck zum Transport von Organen

Denken wir an Organspenden, sehen wir Bilder von Operationssälen vor uns, Bilder von technischem Gerät und sterilem Instrumentarium, Bilder von ebenso konzentriertem wie angespanntem medizinischem Personal in grünen und blauen Kitteln. Es geht dabei um viel: Die entnommenen Transplantate helfen Menschen, deren Organe nicht mehr oder nur noch unzureichend arbeiten. Durch den medizinischen Eingriff und den Ersatz ihrer Herzen und Lungenflügel, ihrer Nieren und Lebern, kann häufig das Leben der Betroffenen nicht nur verbessert, sondern oftmals gar gerettet werden.

Die klassische Organspende – Kalt, aber funktional

Ab von den bekannten Bildern gibt es auch bei diesem Thema Bereiche, die zwar ein gewisses Schattendasein fristen, aber von höchster Relevanz für die Organisation und den Erfolg von Organspenden sind. Transplantationen müssen nicht nur möglichst zügig, also innerhalb weniger Stunden, vollzogen und von einem professionellen, stets abrufbereiten Team vorgenommen werden, sie müssen auch jene räumliche Distanz überwinden, die häufig zwischen den Personen des Spenders und jener des Empfängers liegt. Somit stellt sich die Aufgabe, Organe zu transportieren, möglichst schnell und sicher.

Der Goldstandard der Organverbringung ist bislang der Kalttransport, bei dem die Organe in einer speziellen Lösung gekühlt in besonderen Styroporboxen ihre mal nahe, mal ferne Reise antreten. Kurz gefasst werden die Organe bislang vom Blutkreislauf abgekoppelt, bei vier Grad Celsius in den Transportboxen gekühlt und innerhalb weniger Stunden zum Transplantationszentrum gebracht, um dann schnellstmöglich implantiert zu werden. Auch wenn diese Lagerungs- und Transportart ihre Aufgabe grundsätzlich erfüllt und sich bewährt hat, hat sie doch auch gewisse Nachteile. Die Kühlung dient dazu, die organischen Funktionen, also den Stoffwechsel, zu verlangsamen und somit die Schädigung des jeweiligen Organs, die mit der Sauerstoff- und Nährstoffunterversorgung einhergeht, zu minimieren, wobei sie diese nicht vollständig aufzuhalten vermag. Auch wenn die Vorteile der kalten Variante von Lagerung und Transport auf der Hand liegen, ist diese Methode doch einfach, praktisch und günstig und gewährleistet das sichere Präservieren von Standardorganen, hat sie gleichzeitig die Nachteile, die metabolische Depletion, also die Erschöpfungserscheinungen in Folge des anhaltenden Stoffwechsels, und die Schäden durch fehlende oder ungenügende Durchblutung (Ischämie) nicht komplett verhindern zu können. Hinzu kommt, dass im Zustand der Kaltlagerung eine exakte Untersuchung der Funktionsfähigkeit des Organs kaum möglich ist.

Lukas Hauck in der Celarius-Bibliothek

Die Maschinenperfusion – Erhaltende Ströme

Seit jüngerer Zeit gibt es auf dem Gebiet der Organspende eine Neuerung, die Maschinenperfusion. Kurz gefasst geht es darum, die Organe nicht in 4°C kalter Flüssigkeit zu lagern, sondern in einer Art künstlichen Körper: Dieser besteht schlicht in einer Maschine, die den Stoffwechsel des Organs durch entsprechende Ein- und Ausgänge weiter am Laufen hält, indem es den Aufbau und Ablauf des menschlichen Organismus imitiert. Der entscheidende Vorteil dieser maschinellen Pumpen ist zum einen, dass die organische Zersetzung gestoppt werden kann, arbeitet das Organ doch wie gewöhnlich. Zum anderen kann das Organ durch Spülungen nicht nur gereinigt, sondern selbst auf zellulärer Ebene mit Sauerstoff angereichert werden. So wird das Organ in einen idealen Zustand versetzt, was seine folgende Transplantation erleichtert. Auch die Kontrolle der Güte des Organs ist hier möglich, lässt es sich doch bei der Arbeit beobachten. Diese Methode findet mittlerweile auch in deutschen Krankenhäusern mehr und mehr Anwendung, wobei sie in europäischen Nachbarnationen schon weit verbreitet bishin zum klinischen Standard ist. Grundsätzlich sind zwei Varianten zu unterscheiden, die normo- und die hypotherme Maschinenperfusion: Der Unterschied liegt in der Temperierung, einerseits bei normaler Körpertemperatur und andererseits bei niedrigen Temperaturen im 4°C Bereich.

Die Größe der klassischen Perfusionsmaschinen im stationären Gebrauch vor Augen ist das Problem des Transportes offenkundig: Wie müssen Transportboxen gestaltet werden, um gleichzeitig mobil zu sein und die Rahmenbedingungen zu bieten, die die Perfusion benötigt? Lukas Hauck, mittlerweile Masterstudent an der Hochschule Schmalkalden, konnte dieser Aufgabe im Zuge der Erstellung seiner Bachelorarbeit bei der senetics healthcare group GmbH & Co. KG in Ansbach nachgehen. Das innovative und interdisziplinäre Dienstleistungsunternehmen widmet sich einem breiten Spektrum von Aufgaben im Bereich der Medizintechnik, das vom konzeptionellen Design über die Fertigung von Prototypen bis hin zu Fragen der Zulassung medizinischer Produkte reicht. Im Rahmen des DeLiver[i]– Projektes bestand die Aufgabe des Unternehmens in einer Machbarkeitsstudie: Wie lassen sich die funktionalen Aufgaben einer solchen Transportbox technisch realisieren und wie können die regulatorischen und normativen Vorgaben, die mit der Zulassung einhergehen, erfüllt werden[BT1] ?

Gerade bei Lebertransplantaten ist der Nutzen der Maschinenperfusion offensichtlich: Gespendete Lebern weisen oft Mängel auf, die durch den klassischen Transport zunehmen, wodurch letztlich eine Vielzahl an Lebern unbrauchbar werden würden. Zugleich ist der Bedarf an Lebertransplantaten gestiegen und kann kaum mehr gedeckt werden. Eine 2018 im Fachmagazin Natur veröffentliche Studie mit 220 Lebertransplantationen zeigte, dass die Raten von Transplantatschäden und verworfenen Organen bei der normothermen Maschinenperfusion von Spenderlebern im Vergleich zur kalten Lagerung um 50 % niedrigerer liegt. Zugleich, und dies ist ein für den Transport zentrales Kriterium, lässt sich die mittlere Lagerungszeit ohne negative Auswirkungen auf das Organ um 54 % verlängern.[ii]Die Maschinenperfusion kann also helfen, die Qualität, aber vor allem die Quantität der verfügbaren Organe wie Lebern in einem beachtlichen Maße zu steigern und so dem anhaltenden Organmangel entgegenzuwirken.[iii]

Vom Reißbrett auf dem Weg in die Wirklichkeit

Hauck wurde im Unternehmen direkt eingebunden und mit der Lösung der Aufgabe der Elektronik und Sensorik betraut: Hierbei ging es darum, Mittel und Wege zu finden, das Berechnungsmodell eines Temperierungskonzeptes der Transportbox technisch umzusetzen. Fragen waren: Wie und wo muss die Temperatur gemessen werden, wie lässt sich die Temperatur effizient kontrollieren, wie kann der Bedarf an Energie minimiert werden, was ist die notwendige Heizleistung, welche Energiequellen sind nötig? Im Unterschied zum passiven System des Kalttransports brauchen aktive Systeme wie die der Perfusionsmaschinen eine gesicherte, stabile Energieversorgung: Weil die Temperatur selbst nur um wenige Grade schwanken darf, muss die Sensorik nicht nur fein sein, sie muss auch an verschiedenen Stellen messen und die Temperatur schnell regeln können. Auf kleinerem Raum hieß es, die elektronischen Bauteile wie Sensoren in die Transportkiste zu integrieren und diese zugleich in ihren Maßen kompakt zu halten. Daneben stellten sich auch ganz lebensnahe praktische Probleme: Wie mit den verschiedenen Stromanschlüssen umgehen, die es in Krankenhäusern, Autos und Flugzeugen gibt?

Das Projekt DeLiver, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, an dem sich neben senetics auch weitere Firmen der Healthtech und auch die Technische Hochschule Köln beteiligten, will einen sicheren Transport des Organs von der Entnahme bis zur Transplantation in einen Empfänger ermöglichen, währenddessen das Organ perfundiert und oxygeniert wird.[iv] Neben der technischen Machbarkeit war auch die Wirtschaftlichkeit eine Herausforderung: Anders als die Styroporboxen des klassischen Transports sind die komplexen Bauteile, wie sie die mobilen Maschinen sind, zu teuer, um komplett als Einmalprodukt gestaltet zu werden. Das System soll also einen großen Anteil an wiederverwendbaren Teilen haben und nur diejenigen Teile, welche in direkten Kontakt mit organischem Material kommen, sollen durch den Anwender unkompliziert zu wechseln sein. Die Wiederverwendbarkeit macht also ebenso ökonomisch wie ökologisch Sinn, schafft aber neue Aufgaben, die die involvierten IngenieurInnen lösen mussten.

Lukas Hauck fand in Ansbach ein bereicherndes und hilfsbereites Arbeitsumfeld, das ihm die Freiheit gab, zu tüfteln, wie ein hilfsbereites Geländer, falls er mal nicht weiterkam. Die Möglichkeit, sich im Rahmen von Abschlussarbeiten in die (inter-)nationalen Förderprojekte eines Unternehmens einzubringen und von den praktischen Erfahrungen angewandter Wissenschaft zu profitieren, bietet senetics auch weiter Studierenden aus dem Bereich der Medizintechnik gerne an.[v] Aber auch die Betreuung an der Hochschule tat das ihrige, Haucks Forschung produktiv zu unterstützen. Am Ende des Praktikums entstand zu diesem Thema an der Hochschule Schmalkalden eine Bachelorarbeit, die jüngst mit dem TEAG-Förderpreis ausgezeichnet wurde. Die Laudatio zur Übergabe, die Teil der feierlichen Immatrikulation 2022 war, hielt Prof. Roy Knechtel, der auch der Betreuer des Preisträgers an der Hochschule Schmalkalden war.

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[i] Näheres zum Projekt des DeLiver Lebertransportsystems: https://senetics.de/one-stop-shop-dienstleistungen-medizintechnik/foerderprojekte/deliver/

[ii] https://www.transplant-campus.de/nierentransplantation-lebertransplantation-herztransplantation-highlights/lebertransplantation/lebertransplantation-journal-club/normotherme-maschinenperfusion-bei-lebertransplantation/

[iii] Ein sehenswerter Vortrag: Maschinenperfusion in der Lebertransplantation Deutschland, Georg Lurje, Leipzig, DCK 2022. [https://www.youtube.com/watch?v=DgKegrG3Lno]

[iv] https://www.th-koeln.de/hochschule/kick-off-veranstaltung-des-neuen-forschungsprojektes-deliver_68509.php

[v] Ansprechpartner bei Senetics sind:

Dr. Wolfgang Sening // CEO // Mail: wolfgang.sening@senetics.de // Tel: +49 981 9724 795 – 0

Philip Eschenbacher, M.Sc. // Head of R&D // Mail: philip.eschenbacher@senetics.de // Tel: +49 981 9724 795 – 0