Der E-Science-Day 2022. Ein kleiner Einblick in ein facettenreiches Forschungsspektrum

Der E-Science-Day 2022. Ein kleiner Einblick in ein facettenreiches Forschungsspektrum

Mitte Dezember fand der E-Science Day 22 an der Hochschule Schmalkalden statt. Ziel der halbtägigen Veranstaltung war es, die vielen Projekte und Forschungsaktivitäten an der Fakultät Elektrotechnik in die Öffentlichkeit zu tragen. Zugleich ergab sich die Möglichkeit, die Attraktivität der Studiengänge und die sich mit dem Abschluss bietenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt den gastierenden Schulklassen aus der Region vor Augen zu führen.


Am Anfang standen die Begrüßungsworte von Prof. Maria Schweigel, die die verschiedenen Facetten der Fakultät auffächerte. Diese Übersicht über die vielfältigen Bachelor- und Masterstudiengänge diente als leitende Orientierung für die Schulklassen: Was macht die verschiedenen Studiengänge aus, worin liegen ihre Schwerpunkte des Studiums und wohin führen die möglichen Pfade nach dem Abschluss? Das gegenwärtig allzu vernehmbare Raunen des Wortes Fachkräftemangel klingt in den Ohren dieser Studierenden eher wie ein Versprechen guter und sicherer Arbeitsplätze.


Ionenkanäle als Medien des Transports


Im ersten Vortrag, gehalten von Prof. Eckhard Schulz, stand ein Thema der Grundlagenforschung im Zentrum: Ionenkanäle – das sind porenbildende Transmembranproteine, die elektrisch geladenen Teilchen, also den Ionen, das selektive Durchqueren von Biomembranen ermöglichen. Mit ihrer Steuerbarkeit durch Botenstoffe, das Membranpotenzial oder auch äußere Einflüsse, sind sie auf Zellebene nahezu an allen Lebensprozessen beteiligt, wie z.B. im Nervensystem oder bei Stoffwechselvorgängen. In diesem Forschungsgegenstand verbinden sich dementsprechend Teilgebiete aus Medizin/Biologie mit Spezialgebieten von Physik/Mathematik, wobei diese Verknüpfung auch an der langjährigen Kooperation der Hochschule Schmalkalden mit dem Physiologischen Institut des Universitätsklinikums Jena deutlich wird.

Prof. Eckhard Schulz


Prof. Schulz erläuterte, wie sich das stochastische Schaltverhalten der Ionenkanäle durch mathematische Modelle beschreiben lässt und wie man die Modellparameter aus experimentellen Daten von Patch-Clamp-Messungen ermitteln kann. Diese so besser zu verstehenden Transportprozesse sind u.a. für pharmakologische Anwendungen von Interesse, da viele Medikamente ihre Wirkung gerade durch die gezielte Beeinflussung bestimmter Ionenkanäle entfalten.


Über organisatorischen Herausforderungen der Nutzung von Windenergie


Den zweiten Vortrag übernahm Assoc. Prof. Faruk Ugranlı von der Bartin University (Türkei), der sich gerade als Gastwissenschaftler an der Hochschule Schmalkalden aufhält. Im Blickpunkt seiner Forschung steht die Infrastruktur der Energieversorgung und die Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung von Windenergie. Der Energiebedarf moderner Gesellschaften wächst nicht nur beständig, die Energieversorgung ist auch das Fundament ihres Wohlstandes. Zu diesen Aufgaben kommt noch die Herausforderung hinzu, dass die Energie langfristig weder aus fossilen noch atomaren Quellen stammen soll. Um diesen gesellschaftlichen Auftrag der Energiewende zu einem Erfolg zu machen, ist es mithin geboten, die Potentiale regenerativer Energien für eine stabile Versorgung zu analysieren.

Assoc. Prof. Faruk Ugranlı


Die Vorteile der Windenergie liegen auf der Hand: Sie ist günstig und sauber, die Effizienz moderner Windräder immer höher. Auf der negativen Seite stehen indes ihre fehlende Konstanz und Planbarkeit, wodurch sie sich nicht als alleiniger Energieträger eignet. Zugleich sind die potentiellen Ressourcen an Windenergie ungleich verteilt: Den windreichen Küsten Norddeutschlands steht kein süddeutsches Pendant gegenüber. Folglich muss Energie verteilt werden, und dies bedarf wiederum gut ausgebauter sehr großflächige Netzwerke der Energieinfrastruktur, um für erneuerbare Energien ungünstige Wetterlagen ausgleichen zu können. Genau hierfür gilt es, Konzepte der Optimierung zu entwickeln.


Das Verhältnis von Material und Struktur


Dr. Martin Seyring, noch recht frisch an der Hochschule Schmalkalden, verband einen Rückblick auf seiner bislang verfolgten Forschungsinteressen mit einem Ausblick darauf, womit er sich an der Hochschule Schmalkalden beschäftigen will. Grundsätzlich widmet er sich der Beziehung von Material und Struktur: Welche Auswirkungen haben Herstellungsprozesse und Einflüsse wie Wärme und Druck auf die nanoskaligen Strukturen der verwandten Materialien? Welche positiven, welche negativen Effekte zeitigt dieses oder jenes Material, dieses oder jenes Verfahren; wie lassen sich nutzvolle Eigenschaften bewahren, negative Effekte vermeiden? Um diesen Phänomenen nachzuspüren, verwendet Seyring ein Elektronenmikroskop, dessen Darstellung bis zu einer Auflösung im Nanometerbereich reicht. So lassen sich kleinste und feinste Veränderungen der Struktur des Materials entdecken.

Dr. Martin Seyring


Da wir uns hier nicht in den Details verlieren können, müssen ein paar wenige Sätze zu den Forschungsprojekten ausreichen: Wie lässt sich das Material von sogenannten Supermagneten optimieren? Welche Folgen haben unterschiedliche Temperaturen für die Werkstoffe, bzw. wann verändern sich die Kristalle und welche Effekte hat dies auf den Magnetismus? Siliziumbatterien sind in unserem Alltag kaum mehr wegzudenken, dennoch sind die genauen Vorgänge in den Ladungs- und Entladungsprozessen noch recht unerforscht. Seyring ging es neben der Charakterisierung des Strukturwandels in den Graphit-Anoden um die Frage der symmetrischen oder asymmetrischen Verteilung der Ladungen und welche Folgen eventuelle Ungleichgewichte für die Stabilität der Akkus haben. Die elektronischen Kontakte von spezifischen KZF-Steckverbindungen lassen sich als drittes Beispiel anführen: Hierbei war es die Frage, wie sich der Kontakt in Anhängigkeit vom Material optimieren lässt. Wegmarken beim Verständnis auftretender Probleme bei den Steckverbindungen waren die Temperatur, die Kristallographie und mögliche Oxidrückstände auf den Stiften. An der Hochschule Schmalkalden will sich Seyring im Bereich der Halbleiter-Sensoren einbringen: Neben der grundsätzlichen Charakterisierung von Materialien soll es ihm um die Beurteilung von Füge- und Bondprozessen gehen, unter anderem in Hinsicht der Auswahl der geeignetsten der Materialien, ihrer Dicke und Kombinationen.


Die Alltäglichkeit von Sensoren


Krankheitsbedingt konnte ein Teil der Vortragenden nicht vor Ort sein. Prof. Roy Knechtel übernahm es, die angedachten Themen vorzustellen. Jonas Distel untersuchte die Funkübertragungsstandards für die Umsetzung neuer Geschäftsprozesse und die Optimierung der Energielieferung bei Energieversorgungsunternehmen. Fragen waren neben der Verbreitung und Belastbarkeit der Datenverbindungen auch die Abwägung zwischen kommerziellen und nicht kommerziellen Modellen. Frau Dr. Manuela Göbelt ist Program-Managerin bei der X-FAB MEMS Foundry GmbH und befasste sich mit dem Thema: “Wafer Level Packaging for Advanced MEMS based on Wafer Bonding and TSVs” und arbeitet dabei eng mit Prof. Knechtel zusammen. Wie Roy Knechtel beispielhaft an modernen In-Ear-Kopfhörern vorführte, ist zeitgemäße, mittlerweile allgegenwärtige Technik voll mit hochkomplexen, kleinen Sensoren. Die technische Finesse ist auch anhand aktueller Smartphones und ihren Möglichkeiten offenkundig: Neben Lautsprechern und Mikrophonen beinhalten diese Navigations- und Ortungselemente, Fotosensoren und Temperaturmesser usw. Und dies alles auf kleinstem Raum. Die Forschung geht hier in Richtung der Optimierung und weiteren Minimierung der verschiedenartigen Komponenten wie Sensoren, sollen die Endgeräte doch immer kleiner und flacher dabei aber auch immer leistungsfähiger und komfortabler werden.

Prof. Roy Knechtel


Kurzum lässt sich festhalten: Das Tableau der Projekte und Forschungsvorhaben an der Fakultät der Elektrotechnik ist mannigfaltig und bietet Forschenden verschiedene Möglichkeiten, ihre kreative Neugier auszuleben und Vorhaben umzusetzen. Hierzu passend stand am Abschluss des Tages das Schülerforschungszentrum im Fokus, welches demnächst in Räume der Fakultät der Elektrotechnik umzieht und sich die Räumlichkeiten mit einem neuen Elektrotechniklabor für Studierende teilen wird. Damit Schülerinnnen und Studierende sich auch künftig ihrem Forschungsdrang nachgehen können, bemüht sich unter anderen Prof. Knechtel gerade darum, einen Grundstock an technischer Ausrüstung am neuen Ort zusammenzutragen und zur Verfügung zu stellen. Wissenschaft beginnt mit einem neugierigen Blick auf die Welt: Genau hier will das Schülerforschungszentrum, auch mit Unterstützung der Fakultät Elektrotechnik, ansetzen und die Reise der Entdeckung unterstützend begleiten.

Mensch – Interaktion – Technologie: Über einen Forschungsschwerpunkt an der Hochschule Schmalkalden

Mensch – Interaktion – Technologie: Über einen Forschungsschwerpunkt an der Hochschule Schmalkalden

An der HSM gründete sich jüngst ein interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt mit dem programmatischen Titel „Mensch – Interaktion – Technologie“, kurz MIT. Die drei das Projekt tragenden WissenschaftlerInnen stellen verschiedene gesellschaftlich relevante Herausforderungen unserer digitalen Moderne in den Fokus ihrer Forschung: Wie lassen sich menschenzentrierte, interaktive Technologien als physische und virtuelle Ressourcen nutzen? Wie kann eine schwellenarme Kommunikation zwischen Mensch und Maschine im Alltags- und Arbeitsleben organisiert werden und wie lässt sich diese Beziehung in Zukunft weiter optimieren?

Offene Horizonte der digitalen Moderne

Wie wird die Welt von morgen aussehen? Verglichen mit dem Gestern ist zu vermuten, dass die Momente der Digitalisierung und Automatisierung ebenso anhalten wie die Durchdringung unserer Alltags- und Arbeitswelten mit hochkomplexen Geräten und Applikationen. Technologische Innovationen nehmen sich demgemäß als hilfreiche Stützen und Erweiterungen unserer Handlungs- und Kommunikationsmöglichkeiten aus, deren zukünftige Potentiale gegenwärtig noch kaum abschätzbar sind.

Die Veränderungen gewinnen nur langsam Kontur, zeitigen aber bereits heute markante Einschnitte im Alltag, wie es an der Bedeutung von Smartphones deutlich wird. Aber auch in anderen Bereichen wie der Automatisierung der Logistik und der unterstützenden Robotik in der Pflege wird die Transformation zunehmend greifbar.

Interdisziplinarität als Schlüssel

Mensch – Interaktion – Technologie: Dieses Dreiecksverhältnis steht im Fokus eines Forschungsschwerpunktes an der Hochschule Schmalkalden. Innovative Technologien wie Roboter, Interfaces und auch Applikationen können Menschen in ihrem Alltag ebenso unterstützen wie in ihrem Arbeitsleben entlasten. So könnte ein Großteil monotoner, industrieller Routinearbeiten und viele Warentransporte zukünftig von autonomen Maschinen übernommen werden. Kurzum geht es darum, das Arbeiten der Menschen einfacher und ihr Leben leichter zu machen. Damit die technischen Angebote allerdings ihre Potentiale vollends ausschöpfen können, müssen sie von den Menschen angenommen und in ihr Leben, Arbeiten und Handeln integriert werden.

Um die Beziehung von Mensch und Technik zu verstehen, ist ein interdisziplinärer Zugang geboten, der verschiedene Fachbereiche wie Maschinenbau, Informatik und Psychologie kooperativ verbindet. Die Vielfältigkeit der je eigenen Perspektiven und Methoden erlaubt es, das Phänomen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und in seinen Facetten zu erhellen. Die Disziplinen verschränken sich also konstruktiv in ihrem leitenden Erkenntnisinteresse, dem Verhältnis von Mensch, Interaktion und Technologie.

Zwischen Mensch und Maschine

Die Möglichkeiten technischer Innovation treffen auf Erfahrungen und Wertmaßstäbe von Individuen: Wie entsteht Vertrauen? Oder schwächer: Wie lassen sich abwehrende Affekte vermeiden, Berührungsängste abbauen? Welche Optik, welche Geschwindigkeit müssen technische Geräte wie Lieferroboter aufweisen, um beispielsweise im Straßenverkehr nicht als Hindernis wahrgenommen zu werden? Welche Schwellen stören die Interaktion, welcher bedarf es? Aber auch anderes herum: Wie kann Technik menschliches Verhalten besser einschätzen lernen, wie angemessener reagieren? Genau um diese Beziehung kommunikativer Interaktion von Mensch und Maschine geht es dem Forschungsschwerpunkt an der Hochschule Schmalkalden.

Abseits der Frage der technischen Realisierbarkeit ist es also von ebensolcher Relevanz, wie Individuen und Gesellschaften auf die Veränderungen und Umbrüche, die mit neuen Technologien einhergehen, reagieren: Was technisch möglich und umsetzbar ist, muss ebenso im Fokus stehen wie ein Verständnis dessen, wie Menschen mit den Apparaten umgehen, was sie von den angebotenen Lösungen erwarten und was es ihnen erleichtert, auf die Unterstützung von Maschinen zurückzugreifen. Im Blick des MIT sollen demzufolge nicht nur innovative Geräte und Applikationen stehen, sondern auch der individuelle und soziale Umgang mit diesen Technologien.

Die beteiligten ForscherInnen

Prof. Hartmut Seichter lehrt seit 2014 an der Fakultät Informatik auf dem Gebiet der Computergrafik. Er forscht zu den Themen Augmented Reality, Virtual Reality, Emerging Interfaces, Digital Design, 3D Modellierung und 3D Rekonstruktionen.

Prof. Lenka Duranova lehrt seit 2021 als Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften. Aktuell forscht sie zu Erholung und Wohlbefinden von Beschäftigten in der digitalisierten Arbeitswelt. Darunter fallen Themen wie Technologie-Anforderungen, Informationsflut, ständige Erreichbarkeit, Technostress, Telepressure, Selbstregulation, Schlafqualität, Arbeitszufriedenheit, Mitarbeiterbindung und Produktivität.

Prof. Frank Schrödel lehrt seit 2020 als Professor für Automatisierungstechnik und Robotik an der Fakultät Maschinenbau. Er forscht zum Thema Autonomes Fahren, Industrie 4.0 und Social Robots. Hierbei nehmen zwei Themen eine zentrale Rolle ein: Feinfühlige Roboter und selbstoptimierende Automatisierungslösungen.

Organe, Pumpen und künstliche Körper. Über den Beitrag des TEAG-Preisträgers Lukas Hauck zum Transport von Organen

Organe, Pumpen und künstliche Körper. Über den Beitrag des TEAG-Preisträgers Lukas Hauck zum Transport von Organen

Denken wir an Organspenden, sehen wir Bilder von Operationssälen vor uns, Bilder von technischem Gerät und sterilem Instrumentarium, Bilder von ebenso konzentriertem wie angespanntem medizinischem Personal in grünen und blauen Kitteln. Es geht dabei um viel: Die entnommenen Transplantate helfen Menschen, deren Organe nicht mehr oder nur noch unzureichend arbeiten. Durch den medizinischen Eingriff und den Ersatz ihrer Herzen und Lungenflügel, ihrer Nieren und Lebern, kann häufig das Leben der Betroffenen nicht nur verbessert, sondern oftmals gar gerettet werden.

Die klassische Organspende – Kalt, aber funktional

Ab von den bekannten Bildern gibt es auch bei diesem Thema Bereiche, die zwar ein gewisses Schattendasein fristen, aber von höchster Relevanz für die Organisation und den Erfolg von Organspenden sind. Transplantationen müssen nicht nur möglichst zügig, also innerhalb weniger Stunden, vollzogen und von einem professionellen, stets abrufbereiten Team vorgenommen werden, sie müssen auch jene räumliche Distanz überwinden, die häufig zwischen den Personen des Spenders und jener des Empfängers liegt. Somit stellt sich die Aufgabe, Organe zu transportieren, möglichst schnell und sicher.

Der Goldstandard der Organverbringung ist bislang der Kalttransport, bei dem die Organe in einer speziellen Lösung gekühlt in besonderen Styroporboxen ihre mal nahe, mal ferne Reise antreten. Kurz gefasst werden die Organe bislang vom Blutkreislauf abgekoppelt, bei vier Grad Celsius in den Transportboxen gekühlt und innerhalb weniger Stunden zum Transplantationszentrum gebracht, um dann schnellstmöglich implantiert zu werden. Auch wenn diese Lagerungs- und Transportart ihre Aufgabe grundsätzlich erfüllt und sich bewährt hat, hat sie doch auch gewisse Nachteile. Die Kühlung dient dazu, die organischen Funktionen, also den Stoffwechsel, zu verlangsamen und somit die Schädigung des jeweiligen Organs, die mit der Sauerstoff- und Nährstoffunterversorgung einhergeht, zu minimieren, wobei sie diese nicht vollständig aufzuhalten vermag. Auch wenn die Vorteile der kalten Variante von Lagerung und Transport auf der Hand liegen, ist diese Methode doch einfach, praktisch und günstig und gewährleistet das sichere Präservieren von Standardorganen, hat sie gleichzeitig die Nachteile, die metabolische Depletion, also die Erschöpfungserscheinungen in Folge des anhaltenden Stoffwechsels, und die Schäden durch fehlende oder ungenügende Durchblutung (Ischämie) nicht komplett verhindern zu können. Hinzu kommt, dass im Zustand der Kaltlagerung eine exakte Untersuchung der Funktionsfähigkeit des Organs kaum möglich ist.

Lukas Hauck in der Celarius-Bibliothek

Die Maschinenperfusion – Erhaltende Ströme

Seit jüngerer Zeit gibt es auf dem Gebiet der Organspende eine Neuerung, die Maschinenperfusion. Kurz gefasst geht es darum, die Organe nicht in 4°C kalter Flüssigkeit zu lagern, sondern in einer Art künstlichen Körper: Dieser besteht schlicht in einer Maschine, die den Stoffwechsel des Organs durch entsprechende Ein- und Ausgänge weiter am Laufen hält, indem es den Aufbau und Ablauf des menschlichen Organismus imitiert. Der entscheidende Vorteil dieser maschinellen Pumpen ist zum einen, dass die organische Zersetzung gestoppt werden kann, arbeitet das Organ doch wie gewöhnlich. Zum anderen kann das Organ durch Spülungen nicht nur gereinigt, sondern selbst auf zellulärer Ebene mit Sauerstoff angereichert werden. So wird das Organ in einen idealen Zustand versetzt, was seine folgende Transplantation erleichtert. Auch die Kontrolle der Güte des Organs ist hier möglich, lässt es sich doch bei der Arbeit beobachten. Diese Methode findet mittlerweile auch in deutschen Krankenhäusern mehr und mehr Anwendung, wobei sie in europäischen Nachbarnationen schon weit verbreitet bishin zum klinischen Standard ist. Grundsätzlich sind zwei Varianten zu unterscheiden, die normo- und die hypotherme Maschinenperfusion: Der Unterschied liegt in der Temperierung, einerseits bei normaler Körpertemperatur und andererseits bei niedrigen Temperaturen im 4°C Bereich.

Die Größe der klassischen Perfusionsmaschinen im stationären Gebrauch vor Augen ist das Problem des Transportes offenkundig: Wie müssen Transportboxen gestaltet werden, um gleichzeitig mobil zu sein und die Rahmenbedingungen zu bieten, die die Perfusion benötigt? Lukas Hauck, mittlerweile Masterstudent an der Hochschule Schmalkalden, konnte dieser Aufgabe im Zuge der Erstellung seiner Bachelorarbeit bei der senetics healthcare group GmbH & Co. KG in Ansbach nachgehen. Das innovative und interdisziplinäre Dienstleistungsunternehmen widmet sich einem breiten Spektrum von Aufgaben im Bereich der Medizintechnik, das vom konzeptionellen Design über die Fertigung von Prototypen bis hin zu Fragen der Zulassung medizinischer Produkte reicht. Im Rahmen des DeLiver[i]– Projektes bestand die Aufgabe des Unternehmens in einer Machbarkeitsstudie: Wie lassen sich die funktionalen Aufgaben einer solchen Transportbox technisch realisieren und wie können die regulatorischen und normativen Vorgaben, die mit der Zulassung einhergehen, erfüllt werden[BT1] ?

Gerade bei Lebertransplantaten ist der Nutzen der Maschinenperfusion offensichtlich: Gespendete Lebern weisen oft Mängel auf, die durch den klassischen Transport zunehmen, wodurch letztlich eine Vielzahl an Lebern unbrauchbar werden würden. Zugleich ist der Bedarf an Lebertransplantaten gestiegen und kann kaum mehr gedeckt werden. Eine 2018 im Fachmagazin Natur veröffentliche Studie mit 220 Lebertransplantationen zeigte, dass die Raten von Transplantatschäden und verworfenen Organen bei der normothermen Maschinenperfusion von Spenderlebern im Vergleich zur kalten Lagerung um 50 % niedrigerer liegt. Zugleich, und dies ist ein für den Transport zentrales Kriterium, lässt sich die mittlere Lagerungszeit ohne negative Auswirkungen auf das Organ um 54 % verlängern.[ii]Die Maschinenperfusion kann also helfen, die Qualität, aber vor allem die Quantität der verfügbaren Organe wie Lebern in einem beachtlichen Maße zu steigern und so dem anhaltenden Organmangel entgegenzuwirken.[iii]

Vom Reißbrett auf dem Weg in die Wirklichkeit

Hauck wurde im Unternehmen direkt eingebunden und mit der Lösung der Aufgabe der Elektronik und Sensorik betraut: Hierbei ging es darum, Mittel und Wege zu finden, das Berechnungsmodell eines Temperierungskonzeptes der Transportbox technisch umzusetzen. Fragen waren: Wie und wo muss die Temperatur gemessen werden, wie lässt sich die Temperatur effizient kontrollieren, wie kann der Bedarf an Energie minimiert werden, was ist die notwendige Heizleistung, welche Energiequellen sind nötig? Im Unterschied zum passiven System des Kalttransports brauchen aktive Systeme wie die der Perfusionsmaschinen eine gesicherte, stabile Energieversorgung: Weil die Temperatur selbst nur um wenige Grade schwanken darf, muss die Sensorik nicht nur fein sein, sie muss auch an verschiedenen Stellen messen und die Temperatur schnell regeln können. Auf kleinerem Raum hieß es, die elektronischen Bauteile wie Sensoren in die Transportkiste zu integrieren und diese zugleich in ihren Maßen kompakt zu halten. Daneben stellten sich auch ganz lebensnahe praktische Probleme: Wie mit den verschiedenen Stromanschlüssen umgehen, die es in Krankenhäusern, Autos und Flugzeugen gibt?

Das Projekt DeLiver, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, an dem sich neben senetics auch weitere Firmen der Healthtech und auch die Technische Hochschule Köln beteiligten, will einen sicheren Transport des Organs von der Entnahme bis zur Transplantation in einen Empfänger ermöglichen, währenddessen das Organ perfundiert und oxygeniert wird.[iv] Neben der technischen Machbarkeit war auch die Wirtschaftlichkeit eine Herausforderung: Anders als die Styroporboxen des klassischen Transports sind die komplexen Bauteile, wie sie die mobilen Maschinen sind, zu teuer, um komplett als Einmalprodukt gestaltet zu werden. Das System soll also einen großen Anteil an wiederverwendbaren Teilen haben und nur diejenigen Teile, welche in direkten Kontakt mit organischem Material kommen, sollen durch den Anwender unkompliziert zu wechseln sein. Die Wiederverwendbarkeit macht also ebenso ökonomisch wie ökologisch Sinn, schafft aber neue Aufgaben, die die involvierten IngenieurInnen lösen mussten.

Lukas Hauck fand in Ansbach ein bereicherndes und hilfsbereites Arbeitsumfeld, das ihm die Freiheit gab, zu tüfteln, wie ein hilfsbereites Geländer, falls er mal nicht weiterkam. Die Möglichkeit, sich im Rahmen von Abschlussarbeiten in die (inter-)nationalen Förderprojekte eines Unternehmens einzubringen und von den praktischen Erfahrungen angewandter Wissenschaft zu profitieren, bietet senetics auch weiter Studierenden aus dem Bereich der Medizintechnik gerne an.[v] Aber auch die Betreuung an der Hochschule tat das ihrige, Haucks Forschung produktiv zu unterstützen. Am Ende des Praktikums entstand zu diesem Thema an der Hochschule Schmalkalden eine Bachelorarbeit, die jüngst mit dem TEAG-Förderpreis ausgezeichnet wurde. Die Laudatio zur Übergabe, die Teil der feierlichen Immatrikulation 2022 war, hielt Prof. Roy Knechtel, der auch der Betreuer des Preisträgers an der Hochschule Schmalkalden war.

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[i] Näheres zum Projekt des DeLiver Lebertransportsystems: https://senetics.de/one-stop-shop-dienstleistungen-medizintechnik/foerderprojekte/deliver/

[ii] https://www.transplant-campus.de/nierentransplantation-lebertransplantation-herztransplantation-highlights/lebertransplantation/lebertransplantation-journal-club/normotherme-maschinenperfusion-bei-lebertransplantation/

[iii] Ein sehenswerter Vortrag: Maschinenperfusion in der Lebertransplantation Deutschland, Georg Lurje, Leipzig, DCK 2022. [https://www.youtube.com/watch?v=DgKegrG3Lno]

[iv] https://www.th-koeln.de/hochschule/kick-off-veranstaltung-des-neuen-forschungsprojektes-deliver_68509.php

[v] Ansprechpartner bei Senetics sind:

Dr. Wolfgang Sening // CEO // Mail: wolfgang.sening@senetics.de // Tel: +49 981 9724 795 – 0

Philip Eschenbacher, M.Sc. // Head of R&D // Mail: philip.eschenbacher@senetics.de // Tel: +49 981 9724 795 – 0