Wie lässt sich Personal halten? Über wirtschaftspsychologische Faktoren der Mitarbeiterbindung

Wie lässt sich Personal halten? Über wirtschaftspsychologische Faktoren der Mitarbeiterbindung

In Zeiten obwaltenden Fachkräftemangels wird die Herausforderung für Unternehmen, qualifiziertes Personal anzuwerben oder auch nur zu halten, nicht eben geringer. Durch die Fluktuation der Beschäftigten ergeben sich nebst Potentialen frischen Winds auch Reibungsverluste, die Unternehmen vermeiden wollen. So bedarf neues Personal einer Einarbeitungszeit, und zugleich verlieren die Unternehmen mit den Mitarbeiter:innen immer individuell erworbenes Sach- und Handlungswissen. Auch müssen die Vakanzzeiten überbrückt werden, wodurch die Arbeitsbelastung der Kolleg:innen steigt. Mit den psychologischen Faktoren und Mechanismen, die dem Verbleiben der Beschäftigten dien- oder schädlich sind, befasst sich Katharina Sachse, Inhaberin der Professur für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Schmalkalden. Eine Studie, die diesen Themen empirisch nachgeht und zu der sie in Koautorinnenschaft mit Ulrike Gaedke jüngst einen Artikel veröffentlichte, stellte sie im Rahmen ihrer Antrittsvorlesung an der Hochschule Schmalkalden vor.

Faktoren der Bindung

Um zu verstehen, was Mitarbeiter:innen an ihren Arbeitsstellen hält, muss eine dementsprechende Perspektive eingenommen werden: Ein Faktor dieser Bindung lässt sich mit dem englischen „commitment“ umschreiben, dass begrifflich zwischen den Bedeutungen einer Verpflichtung sowie Einbindung und einer Hingabe sowie einem Engagement schwankt. Das Commitment besteht aus verschiedenen Komponenten: Im affektiven Commitment, das in der Studie im Fokus stand, geht es um eine gefühlte Bindung an das Unternehmen und den Job. Anders formuliert meint dies ein „Selbst-“Bekenntnis und „den Wunsch der Beschäftigten, Teil des Unternehmens zu sein und zu bleiben.“ Demgegenüber verschiebt sich im normativen Commitment die Relation: Es geht nicht mehr um die Wertschätzung des Unternehmens, sondern um eine wahrgenommene Verpflichtung gegenüber dem Unternehmen. Weil beispielsweise meine Firma mir diese kostspielige Weiterbildung finanziert hat, habe ich eine Bringschuld gegenüber dem Unternehmen und bin mit ihm verbunden. Als dritter Aspekt kann ein kalkulatorisches Commitment angeführt werden, das allerdings auf eine vergleichsweise oberflächliche Bindung aufgrund rationaler Erwägungen abhebt. Beschäftigte bleiben hierbei aufgrund individueller und situativer Vorteile, entwickeln jedoch keine tiefergehende Beziehung.

Die Frage der Studie ist nun, wie und ob die Bindungseffektes des affektiven Commitments mit der Einbettung in den Job  und dem psychologischen Vertragsbruch zusammenhängen respektive sich positiv oder negativ auf die Mitarbeiterbindung auswirken. Um dies zu klären, wurde eine Online-Befragung von über fünfhundert Teilnehmenden vorgenommen und ausgewertet.

Passung und psychologische Verträge

Die Einbettung besteht nicht nur selbst aus verschiedenen Aspekten, es ist zudem wichtig, zwischen den Sphären des Beruflichen und des Privaten zu trennen, die hier beide einen distinkten Einfluss haben. Die Verbindungen sind der erste Aspekt: Sie beziehen sich auf das soziale Umfeld und die Aktivitäten, also neben dem Kreis der Kolleg:innen und den Führungskräften auch kollektive Teambuildingmaßnahmen auf der einen Seite, und das familiäre Umfeld sowie die Freundes- und Bekanntenkreise und die Freizeitaktivitäten auf der anderen Seite. Je besser sich der Job mit diesen Aspekten einer sozialen Qualität verträgt, umso höher sollte die Bindung sein. Die Passung als zweiter Aspekt zielt auf die Kompatibilität zwischen dem Individuum mit seinen Kenntnissen, Talenten und seiner Biografie und dem Anforderungsprofil des Jobs: Passt die Person also zum Job, oder kann sich diese an anderer Stelle besser und ihren Talenten gemäßer einbringen? Ein Mangel dieser Passung könnte also zu einer Über- oder Unterforderung bzw. zu Frustrationserfahrungen in der beruflichen Tätigkeit führen. Auf der anderen Seite ist es die Frage, wie sich die Anforderungen des Jobs mit einem gelingendem Sozialleben übereinbringen lassen – hier ist an Dinge wie Gleitzeit und weit mehr zu denken. Die dritte Komponente ist der Verzicht und meint die Vorzüge, die bei einem Jobwechsel seitens des Beschäftigten aufzugeben wären. Neben der Vergütung sind dies u.a. Home-Office-Regelungen, Job-Tickets, betriebliche Rentenversicherungen oder Möglichkeiten der Kinderbetreuung.

Der dritte Faktor ist der psychologische Vertragsbruch und seine Folgen. Wichtig ist es, den Bruch zu vermeiden, da dieser negative Effekte auf die Mitarbeiterbindung und dessen Arbeitsbereitschaft hat. Was ist der psychologische Vertrag? Anders als der Arbeitsvertrag ist dieser kein Teil direkter Aushandlung noch wird er schriftlich fixiert oder ist er einklagbar. Der psychologische Vertrag ist eine gegenseitige Erwartungshaltung, die durch verschiedene Situationen und beteiligte Akteure geprägt werden kann. Von Seiten der Beschäftigten kann dies bereits durch die digitale Selbstpräsentation des zukünftigen Unternehmens im Internet geschehen, durch das Image oder das Leitbild. Andere Prägungen können durch das Bewerbungsgespräch oder den Onboarding Prozess einfließen. Natürlich sind darüber hinaus auch Mitarbeitergespräche und ähnliches hier relevant. Im Resultat entsteht eine Erwartungshaltung des oder der Beschäftigten gegenüber der Organisation, seien es monetäre Versprechungen, die Ausrichtung der Arbeitsstelle, Weiterbildungen oder andere Dinge. Wird dieser Erwartung nicht entsprochen, kann es zum Bruch des psychologischen Vertrags kommen: Die Folgen sind ein Vertrauensbruch, Enttäuschung und eine sinkende Arbeitsmoral. Gerade weil der psychologische Vertrag nicht kodifiziert ist, fällt es in den Aufgabenbereich der Führungskräfte, auf Signale seiner Nichteinhaltung seitens der Beschäftigten zu achten.

Befragung und Auswertung

Katharina Sachse und Ulrike Gaedke gingen den Fragen der Mitarbeiterbindung über eine Online-Befragung Anfang 2024 nach, die sie über Karrierenetzwerke und eine Hochschule für berufsbegleitendes Studium verbreiteten. Die Stichprobe umfasste 512 Individuen, die einen Fragenkatalog ausfüllen mussten, der wiederum die verschiedenen Facetten und Dimensionen der Studie abdeckte.

Im Ergebnis der Studie kann resümiert werden, dass zwischen den angesprochenen Variablen ein direkter, starker statistischer Zusammenhang festgestellt werden konnte, und die Faktoren demnach die Mitarbeiterbindung stärken können. Eine These der Studie war, dass die Einbettung das affektive Commitment stärkt, was wiederum zu einer höheren Mitarbeiterbindung führt. Auch wenn sich diese Annahme bestätigt fand, wurde gleichzeitig eine vom Commitment unabhängige Beziehung der Einbettung und der Mitarbeiterbindung festgestellt. Hier würde sich folglich eine Förderung lohnen.

Empfundene psychologische Vertragsbrüche verringern die Bindungswirkung der anderen Aspekte. Dabei sind die Vertragsbrüche keine Seltenheit: Ungefähr ein Viertel der befragten Personen konnte ein oder mehrere Beispiele nennen, wobei sich die meisten ungehaltenen Versprechen auf die Personalentwicklung und das Gehalt bezogen.

Mitarbeiter:innen binden

Im Resultat können Unternehmen, denen an der Mitarbeiterbindung aus guten Gründen gelegen sein sollte, nun auf Stellschrauben zurückgreifen. Neben klassischen Teambuildingmaßnahmen kann die Passung des Jobs beständig optimiert werden. Wichtig ist es bei diesen Maßnahmen, auf die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten zu achten und die Passung der privaten und der beruflichen Sphäre mitzudenken. Daneben sollten Unternehmen und speziell die Führungskräfte und die Verantwortlichen im Personalbereichs eine Sensibilität gegenüber dem psychologischen Vertrag ausbilden: Hierbei sind neben den expliziten Aussagen eben auch die impliziten Gehalte wichtig.

Der Artikel wird im April 2025 in der Zeitschrift Führung + Organisation (zfo) erscheinen. Die Studie konnten die beiden Wissenschaftlerinnen auch bei der 28. Fachtagung der Gesellschaft für angewandte Wirtschaftspsychologie (GWPs) in Hamm Anfang des Jahres vorstellen.

Seit dem Wintersemester 2024/25 hat Katharina Sachse die Professur für Wirtschaftspsychologie an der HSM inne. Sie promovierte an der TU Berlin zum Thema „Risikowahrnehmung und -verhalten privater Kapitalanleger“ und wirkte in verschiedenen Forschungsprojekten zur Kommunikation von Gesundheitsrisiken mit. Im Anschluss war sie als Arbeitspsychologin und Organisationsberaterin tätig. Zudem lehrte sie an verschiedenen Hochschulen, bevor sie 2016 eine Professur für Wirtschaftspsychologie an der FOM Hochschule in Berlin antrat. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit Themen wie Commitment, Führung und Gesundheit in der modernen Arbeitswelt.

Prof. Dornieden während des Vortrags

Die Herausforderungen der Nachhaltigkeit von Lieferketten. Ein Praxisbericht zu den Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf Unternehmen

Die wahrlich nicht allzu eingängige Wortschöpfung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes stellt Unternehmen vor weitaus größere Probleme als jene der vollständigen Wiedergabe des Ausdrucks. Die Novelle des Gesetzes und vor allem die Verschiebung von einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Unternehmen hin zu einer verbindlichen Norm nehmen sich gerade für mittlere und größere Unternehmen als eine immense Herausforderung aus.  Kurz gefasst verlangt das Gesetz nunmehr von den Unternehmen, die Einhaltung bestimmter ökologischer und menschenrechtlicher Standards ihrer unmittelbaren Zulieferbetriebe sicherzustellen. Somit müssen Unternehmen, die aus dem Ausland Materialien oder Waren beziehen, für die Produktionsverfahren und Arbeitsbedingungen ihrer Zulieferer Verantwortung übernehmen. Komplexe Beschaffungsstrukturen mit einem Vielerlei zerstreuter Lieferanten machen die Einhaltung dieser rechtlichen Vorgaben nicht eben leicht.

Professor Michael Dornieden, der an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften die Professur für allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Beschaffung und Produktion innehat, ging den Auswirkungen der Gesetzesnovelle im Rahmen seines Praxissemesters nach. Weil sich die Gesetzesnovelle für die Unternehmen lange Zeit als eine Art black box unbekannten Inhalts ausnahm, war an dieser Stelle eine wissenschaftliche Begleitung ebenso sinnvoll wie konstruktiv. Welche Effekte die Anforderungen auf ein mittelständisches, gleichwohl international tätiges Unternehmen und seine Beschaffungsstrukturen zeitigt, konnte Professor Dornieden im Rahmen seiner Mitarbeit im Unternehmen Ottobock SE & Co. KGaA nachgehen. Als ein sogenannter hidden champion im Bereich des health tech ist dieses Unternehmen mit seinen fast 9000 Beschäftigten ein Weltmarktführer dezidiert im Bereich Prothetik. Aber auch auf anderen Feldern der Orthopädietechnik wird dem Unternehmen Expertise zuerkannt, so bei individuell-zugeschnittenen Rollstühlen oder auch Exoskeletten.

Überleitung zur Fragerunde

Neben der Spezialisierung der Produkte weist das Unternehmen im Bereich der Beschaffung einen hohen Grad der Diversifizierung und ein heterogenes Portfolio auf, was die Übersicht und Kontrolle der Lieferketten zumindest nicht erleichtert. Um also die Folgen der Gesetzesnovelle abzusehen galt es für Professor Dornrieden zunächst, den Status quo zu analysieren. Welche Lieferketten bestehen, wie viele Lieferanten gibt es, welche Art von Verträgen mit welchen Konditionen (zum Beispiel in Hinsicht der Einhaltung von Standards) liegen mit den Partnern vor usw.? Anhand dieser Prüfung konnte dann im nächsten eine Konsolidierung der Lieferstrukturen konzipiert werden, die zugleich den Ansprüchen der Sorgfaltspflicht entgegenkam. Eine Möglichkeit der Optimierung besteht darin, die Zerstreuung der Lieferanten zu reduzieren und die Beschaffungswege wo möglich zu bündeln. Weil durch die Harmonisierung weniger Elemente innerhalb der Beschaffung zu berücksichtigen sind, sollte die Kontrolle der Einhaltung der Nachhaltigkeitskriterien leichter fallen. Daneben wäre ein anderer Ansatz, Verträge mit den Lieferanten anhand der rechtlichen Vorgaben auszurichten und die Kriterien somit verbindlich zu setzen. Diese Integration ist allerdings nur mittel- bzw. langfristig möglich.

Die Möglichkeit, die Folgen von Veränderungen rechtlicher Rahmenbedingungen direkt in betroffenen Unternehmen zu studieren und diesen im Umgang mit den entstehenden Herausforderungen zu unterstützen, bot Professor Dornieden eine gewinnbringende Erfahrung direkter Mitwirkung.

Ein Blick in das Publikum
Zeitinkonsistenz: Über die Hemmnisse wirtschaftspolitischer Reformen

Zeitinkonsistenz: Über die Hemmnisse wirtschaftspolitischer Reformen

Bericht aus dem Forschungssemester

Der Begriff der Zeitinkonsistenz ist ebenso komplex wie er in verschiedenen disziplinären Kontexten unterschiedliche Charakteristika aufweist. Zeitinkonsistenzen bestehen zunächst allgemeinhin dann, wenn sich ein Faktor, zum Beispiel eine Einstellung gegenüber einem Thema, im Laufe der Zeit verändert, obwohl die relevanten Einflussgrößen stabil bleiben und folglich nicht die Ursache für den Wandel sind.

Lebensweltlich lässt sich unser Verhältnis zu Diätplänen mit diesem Begriff ganz gut beschreiben: Fassen wir das Vorhaben, in zwei Wochen mit einer Diät zu beginnen, überzeugt uns dieses Ansinnen vollständig und wir sind von dessen Realisierbarkeit und unserem Willen, das Projekt nun endlich anzupacken, vollends überzeugt. Rückt aber der Zeitpunkt einer aktiven Umsetzung näher, umso mehr verliert der Plan an Attraktivität und letztlich auch an unserer Unterstützung. Begänne die Diät bereits morgen, schöben wir sie bedeutend schneller auf. In der Zeit ändert sich also die Bewertung, auch wenn die äußeren Parameter gleichbleiben.

Prof. Robert Richert aus der Fakultät der Wirtschaftswissenschaften versucht, dem Begriff eine weitere Facette hinzuzufügen und mit seiner Hilfe sowohl Phänomene der Wirtschaftspolitik zu erschließen als auch ein Konzept für die Einschätzung der sozioökonomischen Lage bereitzustellen. Nach seiner Definition liegen Zeitinkonsistenzen dann vor, wenn der relevante Zeithorizont der Entscheider kürzer ist als der relevante Zeithorizont, dessen die nachhaltige Lösung eines Problems bedarf.[1]

Gegenstände wie die demografische Zeitbombe und das Ausbleiben einer adäquaten politischen Reaktion ließen sich mit Hilfe des Begriffs beschreiben: Die Statistik der Bevölkerungsentwicklung weist seit 1972 ununterbrochen Sterbeüberschüsse für Deutschland auf. Wie es an der Geburtenrate von 1,53 Kindern pro Frau offenkundig wird, schrumpft die Bevölkerung, obgleich Zuzüge diese Entwicklung partiell abmildern. Da viele Sozialstrukturen der Bundesrepublik auf generationenübergreifenden Umlagesystemen beruhen, also beispielsweise die Renten zum großen Teil über die Beschäftigung der Arbeitnehmenden finanziert werden, resultieren aus der Diskrepanz der Bevölkerungsentwicklung auch in anderen Bereichen massive Konsequenzen.  Da folglich einer abnehmenden Zahl an Einzahlenden eine zunehmende Zahl von Empfangenden gegenübersteht, wäre es die Aufgabe der politisch verantwortlichen Personen, den negativen Effekten dieser Entwicklung vorausschauend und langfristig korrigierend zu begegnen. Zugleich spitzt sich diese Situation gegenwärtig noch mehr zu, weil in der Bundesrepublik in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen werden und sich in der Folge das Missverhältnis weiter vergrößert.

Mit der Zeitinkonsistenz versucht sich Prof. Richert der spezifischen Frage anzunähern, warum trotz der offenkundigen Evidenz und der Relevanz des Problems sich die Politik inkompetent zu dauerhaften, strukturellen Lösungen zeigt. Die zeitliche Einengung politischen Handels wird durch den Zeithorizont von Legislaturperioden nur noch vergrößert, der das Handeln politischer Amtsträger prägt und einschneidende politische Entscheidungen in dem Maße unwahrscheinlicher macht, wie die nächsten Wahltermine näher rücken. Die Zeitinkonsistenz würde in dieser Lesart ein strukturelles Defizit periodischer Legitimierung politischer Funktionsträger bezeichnen, durch das langfristige und tiefgreifende Reformen gehemmt werden. Solche und andere Verengungen des Zeithorizontes verhindern also nachhaltige Lösungsansätze der Politik.


[1] Richert. Robert: Grundlagen der Volkswirtschaftslehre aus globaler Sicht, Wiesbaden 2021, S. 52