Panta rhei. Die Materialwissenschaft und ihr Blick auf die Dynamik der Welt

Panta rhei. Die Materialwissenschaft und ihr Blick auf die Dynamik der Welt

Der griechische Aphorismus Heraklits, nach dem alles fließt, gewinnt auf dem Felde der Materialwissenschaft zusätzliches Profil. Das Prinzip des ewigen Werdens und Wandelns lässt sich hier darin übersetzen, dass Nichts wirklich fest ist, und manche Dinge wider Erwarten nicht wirklich scharf getrennt sind. Es ist dies ein eigener Blick auf die Struktur der Materialien und ihre Beziehungen, auf das das Wechselspiel zwischen Stoffen und Dingen. Und was all das mit der Produktion modernen Mikrochips zu tun hat, die in unseren Smartphones und Smartwatches stecken, darum wird es auf den folgenden Seiten gehen.

Zunächst ist es sinnvoll, das Fach selbst vorzustellen: Die Materialwissenschaft ist eine Disziplin zwischen Chemie, Physik sowie den Ingenieurwissenschaften und verknüpft diese Felder in einer eigenständigen Perspektive. Sie ist mithin ein interdisziplinäres Fachgebiet, das sich mit der Erforschung, Entwicklung und Anwendung von Materialien und Werkstoffen befasst. Als Wissenschaft, in deren Fokus Materialien stehen, zielt sie auf das Verständnis der Stoffgemische, ihren Wechselwirkungen und den daraus resultierenden Eigenschaften , es geht um chemische Beschreibungen ebenso wie um physikalische, chemische und mechanische Charakterisierungen, um Analysen der Strukturen und der Zusammensetzung von Substanzen ebenso wie um die Herstellungsbedingungen, die durch Faktoren der Thermodynamik und Kinetik beschreiben wird. Im Fokus stehen demnach thermodynamische und kinetische Grundlagen für ingenieurwissenschaftlich bedeutsame Werkstoffe:  Zugänge ergeben sich durch die Erarbeitung von Phasendiagrammen, die Untersuchung von Diffusionsprozessen oder auch die Charakterisierung von inneren Grenzflächen.

Ferner befasst sich ein Teilbereich der Materialwissenschaft mit Entwicklung neuer bzw. adaptierter Stoffe mit spezifischen Eigenschaften, die auf die Anforderungen bestimmter Anwendungsfälle abgestimmt sind. Wenn wir an die hochspezialisierten Materialien denken, die zum Beispiel in der modernen Mikroelektronik Verwendung finden und eine Grundlage für die Miniaturisierung und Leistungssteigerung sind, wird klar, wie die Materialwissenschaft durch ihre Verbindung von natur- und ingenieurwissenschaftlichen Ansätzen innovative Potentiale schöpft. Hier zeigt sich auch der Brückenschlag zwischen der Grundlagenforschung und der Transferierung in die anwendungsorientierte Wirklichkeit, der gerade als produktive Verknüpfung von Forschung und Entwicklung für Hochschulen angewandter Wissenschaften wichtig ist. 

Wie arbeiten Materialwissenschaftler:innen?

Um die Eigenschaften von Stoffen und deren Veränderungen in unterschiedlichen Zuständen zu verstehen, eignen sich Phasendiagramme, also Darstellungen der Zustandsübergänge in Abhängigkeit von verschiedenen Parametern. In diesen Diagrammen werden die Übergänge der Zustände (von fest zu flüssig zu gasförmig usw.) durch Einflussgrößen wie Zusammensetzung und Temperatur dargestellt. Dabei haben die Stoffe bzw. einzelne Bestandteile je Zustand und unter anderen während der Übergänge unterschiedliche, relevante Eigenschaften, die es zu charakterisieren gilt. So lässt sich an diesen Diagrammen das thermodynamische und kinetische Verhalten sondieren, das dann zum Beispiel gezielt bei Herstellungsverfahren genutzt werden können.

Ein anderer Aspekt innerhalb der Materialwissenschaft ist die Diffusion, also die Wechselbeziehungen zwischen Stoffen, zum Beispiel zwischen zwei Metallschichten. Unser Alltagsverständnis legt nahe, dass es zwischen beiden Metallen keine Wechselwirkungen gibt, sind doch beide solide Körper, die vollständig separat für sich bestehen. Wenn wir aber niedrigskalische Beobachtungsmethoden wie Elektronenmikroskope wählen, in denen die Atome und die Atomgitter sichtbar werden, verändert sich das Bild: Zwischen den Metallen, um in unserem Beispiel zu bleiben, können Beziehungen bestehen, was unteren anderem zur gegenseitigen Vermischung oder auch zur Einverleibung eines Stoffs durch den anderen führen kann. Wenn verschiedene Metalle und Legierungen wie bei der Mikrochipfertigung in der Elektrotechnik kombiniert werden, müssen solche Effekte bedacht werden, die in den Materialwissenschaften in den Fokus treten.

Die Untersuchung ebensolcher Interdiffusionsvorgänge ist ein Teilaspekt der Materialwissenschaft, der uns zu Martin Seyring und seiner Forschung an der Hochschule Schmalkalden führt. Dr. Martin Seyring hat im Oktober 2022 eine Stelle an der HSM angetreten, er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Rasterelektronen- und optische Mikroskopie an der Fakultät der Elektrotechnik. Zuvor forschte und lehrte er an Friedrich-Schiller-Universität Jena, an der er auch promovierte.

Materialwissenschaftliche Forschung an der HSM

Das Forschungsthema Martin Seyrings sind Phasenungleichgewichte an metallischen Grenzflächen, was im Bereich der Materialwissenschaften Prozesse wie die Interdiffusion umfasst. An der HSM arbeitet er mit Roy Knechtel zusammen, der die Professur für Autonome Intelligente Systeme innehat. Beide forschen nun an der Entwicklung mikroelektronischer Bauteile, sogenannten MEMS. Es geht unter anderem um Druck-, Beschleunigungs-, Drehraten-, Infrarotstrahlungs- und Neigungssensoren, die eine technologische Grundlage unserer modernen Gerätschaften wie Smartphones oder Smartwatches bilden. Während sich Roy Knechtel mit der mikroelektronischen Konstruktion und Integration der Sensoren befasst, widmet sich Martin Seyring der Einbindung der Sensoren, die zum Beispiel über Prozesse des Bondens und Lötens geschehen, und bringt so seine Erfahrungen aus dem metallurgischen Bereich der Materialwissenschaft ein. Um bei dem Ziel, immer höher Integrationsdichten zu erreichen und kleinere, effizientere und leistungsstärkere Bauteile zu realisieren, voranzukommen, rücken die verwandten Materialien und deren komplexe Beziehungen zunehmend in den Fokus.

Ein Ziel ist die Ausreizung technischer Potentiale bei der Verbindung der winzigen Strukturen auf und mit dem Siliziumwafer. Selbstredend gibt es nicht nur ein Verfahren des Bondens, sondern verschiedene Methoden, die sich wiederum für unterschiedliche Anwendungsfälle eignen. Neben dem anodischen Bonden und zum Beispiel dem Glas Fritte Bonden können beim metallischen Bonden auch Metalle bzw. Legierungen zur Verbindung verwandt werden, und hier setzt die Forschung Martin Seyrings und seine Erfahrung mit metallischen Werkstoffen sowie dem Verhalten von Dünnschichten an. Was sind die Beziehungen zwischen den einzelnen Metallschichten – die teils beim Bonden, Löten und Lackieren entstehen –, und wie lassen sich diese in verschiedenen Hinsichten optimieren?

Ein wichtiger Aspekt bei den Wechselwirkungen ist die Zeit: Diffusion und chemische Reaktionen laufen mitunter sehr langsam ab, gleich sind ihre Folgen erheblich. Eine Einflussgröße ist hier die Temperatur, welche diese beiden Prozesse beschleunigt. So ergibt sich zugleich eine Möglichkeit für die Forschung: Durch die kontrollierte Erhöhung der Temperatur lässt sich eine größere Zeitspanne simulieren und die Effekte auf die Materialien studieren. So lassen sich dann Fragen beantworten, wie warm Komponenten werden können oder wie dünn die verwandten Schichten ausfallen dürfen, was gerade aus Sicht einer effizienten Produktion in hoher Stückzahl relevant ist.

Wo sich Technologie und Ökologie verbinden

Mit der Nachhaltigkeit wurde ein wichtiger Aspekt angetippt, der uns galant zu einem aktuellen Forschungsvorhaben Martin Seyrings und Roy Knechtels hinleitet. Der Titel des Projektes lautet MatInWLP, was für Material-Innovationen  im Wafer-Level-Packaging steht. Wiederum verbinden sich hier die von uns bisher verhandelten Themen in einem neuen Kontext. Neben dem Fokus auf den Materialen steht das WLP im Zentrum: Dies meint den Versuch, die Komponenten direkt auf dem Wafer aufzubringen, und sich viele einzelnen Prozessschritte zu sparen. Anders formuliert erfolgen beim WLP die Aufbauschritte von Halbleiterchips zu einsatzfähigen Bauelementen simultan und direkt auf Waferebene, was unter anderem die Schritte der Verkapselung und Kontaktierung umfasst. In diesem Projekt werden zugleich innovative Verfahren der 3D-Druck-Technologien aufgegriffen, die für das WLP eine Rolle spielen könnten.

Um den innovativen Charakter zu verstehen, gilt es, den bisherigen Stand der Produktion von Chips zu betrachten: Trotz oder unabhängig von der enormen Steigerung der Quantität – neben der Qualität – der produzierten mikroelektronischen Komponenten ist deren Fertigung noch immer mit einem immensen logistischen Aufwand verbunden. Für die vielen einzelnen Fertigungsschritte reisen die Bauteile um den Globus, und hinterlassen so einen prägnanten ökologischen Fußabdruck. Ferner sind die mitunter heiklen Herkünfte der verwandten Materialien wie Cobalt zu bedenken: Die Entwicklung hin zur immer weiteren Miniaturisierung wird in Hinsicht des Materialverbrauchs durch die schiere Masse an produzierten Chips wettgemacht. In dem Projekt MatInWLP verbinden sich kurzerhand technologische und ökologische Ambitionen: Einerseits geht es um die technische Realisierung einer direkten Integration der Bauteile auf dem Wafer, was an sich schon Herausforderung genug ist. Andererseits geht es um den Versuch, durch die direkte Bündelung auf dem Wafer neben den Transportkosten auch den Materialeinsatz zu minimieren, und die ökologischen Folgekosten so weiter zu reduzieren.

Das Forschungsprojekt „MatInWLP“ wird von der Carl-Zeiss-Stiftung gefördert, die in ihrem Themenschwerpunkt RessourcenEffizienz die Optimierung von Fertigungsverfahren und Materialkombinationen fördert und in diesem Projekt die technologischen, ökonomischen und ökologischen Potentiale erkennt. In der anwendungsorientierten Forschungsförderung verfolgt die Stiftung das Ziel, Ergebnisse und Erkenntnisse auch in die konkrete Anwendung zu bringen. Das Projekt hat eine Laufzeit bis Anfang 2027 und wird mit 1 Million Euro gefördert.

Der Mensch im Mittelpunkt. Die Innovationen im Werkzeugbau zwischen Ökonomie und Ökologie

Der Mensch im Mittelpunkt. Die Innovationen im Werkzeugbau zwischen Ökonomie und Ökologie

Automatisierung, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz: Die Herausforderungen des Maschinen- und Werkzeugbaus waren in den letzten Jahren durchaus mannigfaltig. Aber dies waren bei Leibe nicht die einzigen Aufgaben: Die Nachhaltigkeit gewinnt immer mehr an Bedeutung, und der Maschinen- und Werkzeugbau muss sich im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie verorten. Gleichwohl wäre es falsch, diese Spannung als ein Gegeneinander aufzufassen, vielmehr kann und sollte der Druck als Initial für innovative Veränderungen aufgenommen werden, so ein Kredo des jüngsten Praxisforum Werkzeugbau des Verbands Deutscher Werkzeug- und Formenbauer (VDWF)  und der WBA Aachener Werkzeugbau Akademie an der Hochschule Schmalkalden.

Das Motto des Tages mit seinem umfänglichen Programm war: „Der Mensch steht im Mittelpunkt. Die Bedürfnisse von Menschen, ihr Komfort und ihre Interessen sind ein antreibender Motor der Innovationskraft des Maschinen- und Werkzeugbaus in seinen verschiedenen Facetten. Den Alltag bequemer zu machen zählt hier ebenso dazu wie Produkte besser und ökologischer sowie kostengünstig und daher allgemein verfügbar anzubieten. Um diese Ziele zu erreichen, können Instrumente wie die Künstliche Intelligenz helfen.

Die Nachhaltigkeit erhielt in den letzten Jahren mehr und mehr Bedeutung. Gerade weil der Klimawandel und seine Folgen immer deutlicher zutage treten und ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken, richten sich Forderungen an die Politik und die Wirtschaft. Allerdings trifft diese Entwicklung den Maschinen – und Werkzeugbau keineswegs unvorbereitet: Der sorgsame Umgang mit Materialien, Rohstoffen und Energieträgern war schon immer geboten und ein wichtiger Aspekt von Entwicklungen und Innovationen, von Hochschulen angewandter Wissenschaften, forschenden Unternehmen und ihren gemeinsamen Kooperationsprojekten.

Gastgeber der Veranstaltung war die Angewandte Kunststofftechnik der Hochschule Schmalkalden, wobei Prof. Dr. Thomas Seul, Inhaber der Professur für Fertigungstechnik und Werkzeugkonstruktion an der HSM und Präsident des VDWF, auch die Aufgabe der Begrüßung übernahm. Hier griff er das Motto „Der Mensch steht im Mittelpunkt“ auf und machte zugleich deutlich, dass auch die Studiengänge Menschen, also engagierte und interessierte Studierende, bräuchte. Um all die technologischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen angehen zu können, bedarf es gut ausgebildete Problemlöser: Gerade anwendungsnahe ingenieurwissenschaftliche Studiengänge wie die Kunststofftechnik vermitteln im Rahmen des Bachelor- und Masterstudiums Fertigkeiten und Fähigkeiten, die die zukünftigen Ingenieure und Ingenieurinnen in die Lage versetzen, innovative Antworten auf komplexe Herausforderungen zu finden.

Aussstellung und Austausch im Foyer

Innovationen, Rezyklate und ökologische Potentiale

Die thematische Ausrichtung der Treffpunkte wechselt mit dem Ort der Veranstaltung, und in Schmalkalden steht traditionellerweise der Spritzguss im Fokus. In den verschiedenen Vorträgen des Tages wurden unterschiedliche Aspekte der Nachhaltigkeit verhandelt: Die Frage war unter anderem, wie wir Rezyklate optimal nutzen, Kreisläufe schließen oder den Energiebedarf gemäß ökologischer Imperative decken können.

Den Anfang machte Frank Schockemöhle von dem Unternehmen Pöppelmann, der sich mit dem Thema «Reduzierung der Treibhausgasemission durch Einsatz von Rezyklaten» befasste. Das Familienunternehmen aus Lohne hat eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft ihrer Produktion und Produkte ins Visier genommen und eine mehrstufige Strategie zur Umsetzung konzipiert. Es versteht sich von selbst, dass der Lebenszyklus von Kunststoffen maximiert werden sollte, werden diese Materialien doch in aufwändigen Verfahren gewonnen. Ein Ansatz ist dabei, Kunststoffe zu recyceln und wieder in den Kreislauf zu überführen, wobei auch die EU den Unternehmen aufgibt, entsprechende Mengen an postconsumer-Material, das in anderen Worten schon einmal genutzt wurde, einzubringen. Probleme sind dabei der Aufwand der Aufbereitung und die eingeschränkten Möglichkeiten der Wiederverwendung. Die Wiederverwertung wird umso aufwändiger, je mehr Materialien, also unterschiedliche Kunststoffe oder andere Materialien wie Papier und Metall Verwendung finden. Etiketten oder die Aluminiumdeckel bei Joghurtverpackungen sind hier bekannte Beispiele. Je sortenreiner also ein Objekt ist, umso einfacher die Wiederverwertung: Wichtig ist, dies schon beim Produktdesign selbst zu bedenken. Zum anderen Problem: Zum einen eignen sich natürlich Rezyklate nicht für alle Anwendungen, bleiben doch zumeist Restbestände an farblichen und olfaktorischen Beimengungen. Viele andere Bereiche, in denen zum Beispiel kein direkter Kontakt mit dem Produkt besteht, könnten Rezyklate verwendet werden, dürfen es aber aufgrund der momentanen Gesetzeslage nicht. Hier gäbe es also Stellschrauben. Durch ein konsequentes Design for recycling und eine Anpassung bestimmter Normen ließen sich die Treibhausgasemissionen noch weiter senken. Andere Wege zur Senkung von Emissionen sind die Reduzierung des Materials und die Etablierung echter Kreislaufsysteme von Rohstoffen.

Die Aachener Werkzeugbau Akademie (WBA) ist in den Feldern Beratung, digitale Lösungen, Weiterbildung und Forschung speziell für den Werkzeugbau aktiv. Dr. David Welling, der Geschäftsführer der WBA, arbeitete in seinem Vortrag „Der öko-effektive Werkzeugbau – ökologisch notwendig und ökonomisch erfolgreich “ den Nutzen von Nachhaltigkeitsinitiativen heraus. Zunächst ging es ihm um eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation des Werkzeugbaus, die sich nicht anders als eine multiple und anhaltende Krise bezeichnen lässt. So träfe eine Strategie- auf eine Erfolgskrise, woraus am Ende eine Liquiditätskrise folgen könne. Die Krisenhaftigkeit zeige sich auch an wichtigen Indikatoren wie einer sinkenden durchschnittlichen Marge, einer stagnierenden Wertschöpfung pro Mitarbeitenden und einer sinkenden Quote von Aufträgen ohne Budgetüberschreitung (ab 2019). Neben die ökonomischen Herausforderungen träten nun noch ökologische, wobei Dr. David Welling dafür plädierte, beide Aspekte gemeinsam zu lösen. Der ökologische Druck besteht nicht nur aus der Selbstverpflichtung der EU zur Klimaneutralität und den entsprechenden Maßnahmen, sondern auch aus den Strafen für nichtgemeldete CO2-Emissionen, Berichtspflichten und Nachhaltigkeitsanforderungen. Der Ansatz der Öko-Effektivität zielt darauf, Herausforderungen auf beiden Feldern mit einer Lösung zu begegnen, also beides zusammenzudenken und produktiv zu nutzen. Zum Beispiel regen die hohen Energiekosten zu einem noch effizienteren Produzieren an, was wiederum die Treibhausgasemissionen senkt.

Blick ins Auditorium

Karosserien und Schäume

Klaus Sammer, Leiter Werkzeugbau, Instandhaltung und Vorentwicklung der Leichtmetallgießerei, und Thomas Kopp gaben einen Einblick in die Entwicklungen beim Karosseriebau bei BMW Landshut: Bei dem Karosseriebau war die Herausforderung schon immer, komplexe und zugleich große Bauteile effizient herzustellen. Das Verfahren des Aluminium-Druckgusses wurde hierbei immer mehr verfeinert: Die in Landshut vor Kurzem entwickelte Mehrplatten-Technologie[i] erlaubt, bei der Konstruktion der Komponenten den Primat von der Optimierung des Fließwegs hin zur Funktionalität zu verlegen. Zugleich lassen sich so Material und Gewicht einsparen, was wiederum zu Einsparungen bei den Emissionen führt. Eine weitere Herausforderung, vor die in der momentanen Lage vermutlich alles Gießereien und Schmelzen stehen, sind die hohen Energiekosten. Durch diesen Druck bietet sich eine Umstellung auf nachhaltige Rohstoffe wie Solarenergie und grünen Wasserstoff an, was wiederum dem Ansatz der Öko-Effektivität entspricht. Natürlich entstehen wiederum Folgeprobleme wie unterschiedliche Temperaturen beim Verbrennen, die Korrosion durch das anfallende Wasser und höheren Verbräuche im Vergleich zum Erdgas: Aufgabe ist es dann, Erfahrungen mit den neuen Verfahren zu sammeln und Lösungen für eventuelle Probleme zu finden. Auch die Elektromobilität ist in diesem Sinne eine Herausforderung, die zu Innovationen anregt: Die Karosserien müssen nun noch komplexer werden und mehr Funktionen integrieren, was wiederum neue Verfahren ihrer industriellen Produktion verlangt. Die Serienfertigung zieht zudem weitere Anforderungen von der Kosteneffizienz bis hin zur Klimabilanz nach sich. Das jüngst vorgestellte „Injector Casting“[ii] Verfahren der Leichtmetallgießerei aus Landshut könnte eine innovative Lösung sein.

Eine andere innovative Möglichkeit zur Einsparung an Material im Kunststoffspritzguss ist das Schäumen. Neben diesem Aspekt bietet dieser Ansatz auch andere Vorzüge, auf die Uwe Kolshorn vom Kunststoff-Instituts Lüdenscheid in seinem Vortrag „Die <andere Denke> beim Kunststoffschäumen – geringere Drücke, Aluwerkzeuge und längere Fließwege, was will man mehr!?“ hinwies. Zunächst sind Schäume keine komplett neuen Bauformen, sondern orientieren sich an den zellularen Formen der Natur. Zugleich ist Schaum nicht gleich Schaum: Verschiedene Materialien und Herstellungsverfahren führen zu unterschiedlichen Eigenschaften und Anwendungsmöglichkeiten. Die grundsätzlichen Vorteile des Schäumens beim Spritzguss sind die geringere Viskosität des Materials (Zähflüssigkeit) und der Verzicht auf den Nachdruck, entsteht der Druck doch im Inneren – eben durch das Aufschäumen. Somit werden unter anderem eine schnellere Füllung und niedrigere Temperaturen des Materials und des Werkzeugs, möglich. Wichtig ist es, bei der Konstruktion der Komponenten bereits die Charakteristika des Schaums im Blick zu haben und die gebotenen Vorteile zu nutzen. Zugleich hat die Verwendung von Schaum auch gewisse Nachteile, mit denen umgegangen werden muss. Beispiele sind die typischen Randausprägungen in Kissenform oder Schlieren auf der Oberfläche. Je nach Anwendungssituation lassen sich hier unterschiedliche Lösungsansätze finden.

Unternehmensführung bei Formconsult in Schmalkalden

Bewegte Zeiten

Christen Merkle, Geschäftsführer von AHP Merkle, zeichnete in einem lebendigen Vortrag mit dem Titel „Was mich bewegt.“ ein Bild der Situation, in der sich kleine und mittlere Unternehmen wie der Spezialist für Zylinder aus dem baden-württembergischen Gottenheim momentan befinden. Neben der schwierigen Lage der Wirtschaft beschäftigen die Unternehmer der schlingernde Kurs der Politik und der Wandel gesellschaftlicher Einstellungen. Unternehmerische Entscheidungen, zum Beispiel Investitionen, brauchen aber langfristige Planbar- und Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen, zum Beispiel der Wirtschaftspolitik. Hier gebe es, vorsichtig formuliert, Verbesserungspotentiale. Die Krisenhaftigkeit der Zeit und die Strukturprobleme wie der Fachkräftemangel beiseite präsentierte sich Christen Merkle als leidenschaftlicher, in der Region verwurzelter Familienunternehmer, der sich seiner sozialen und ökologischen Verantwortung bewusst ist. Ein Beispiel der Vorzüge einer solchen langfristigen Orientierung zeigte sich in der Pandemie: Merkle verzichtete auf Maßnahmen wie Kurzarbeit und setzte auf Forschung und Entwicklung, von der das Unternehmen nun mir erfolgreichen Produkten profizieren kann.

Den letzten Input gab dann Stephan Hoffmann, Geschäftsführer der Formconsult Werkzeugbau GmbH aus Schmalkalden, dessen Vortrag in eine Firmenbesichtigung mündete. Das Unternehmen stellt hochpräzise Werkzeuge her und hat sich auf Mehrkomponenten- und Zweifarbentechnik spezialisiert. Der innovative Werkzeugbau beruhe auf drei Säulen, wobei die Entwicklung, Konzipierung und die Simulierung erste Säule wäre. Neben der Kooperation mit Partner wie der HSM und der GFE sorge hierbei auch die Unterstützung von Start-Ups für die Freisetzung innovativer Potentiale. Die zweite Säule besteht im Werkzeugbau selbst, seiner Spezialisierung und der Fertigung. Aspekten der Nachhaltigkeit könne hier genüge getan werden, indem bei den Produktionsstätten auf Energieeffizienz und die Nutzung erneuerbarer Energien – wo möglich – zurückgegriffen werde, sei es durch Solarpanels oder die Klimatisierung über hocheffiziente Wärmepumpen. Die dritte und letzte Säule ist das Technikum, was der Qualitätssicherung dient. Bemusterung, Vermessung und u.a. die Dokumentation sollen neben einer beständigen Zertifizierung die Qualität der Produktion und der Produkte garantieren.

Gruppenbild im Foyer des Hauptgebäudes (© Fabian Diehr/wortundform)

Das Resümee der Veranstaltung legt einen Blick auf den Anfang der Veranstaltung nahe, also die Begrüßungsworte von Prof. Thomas Seul: Sein Plädoyer war die konstruktive Zusammenarbeit von Hochschulen für angewandte Forschung und Unternehmen. Durch diese Kooperation könnte die Expertise der akademischen Forschungsbereiche genutzt werden und so letztlich beide Seiten profitieren. Eine andere Möglichkeit der Zusammenarbeit sind übergreifende Netzwerktreffen wie das Praxisforum, das von Partner aus der Wirtschaft (FDU Hotrunner, HoliMaker, Meusburger, Moulding Expo, Partool und Process Garding) gesponsert und somit in dieser Ausrichtung dankenswerterweise möglich gemacht wurde.

PS: Der Bericht zum vorherigen VDWF-Treffpunkt Werkzeugbau


[i] https://www.aluminium-journal.de/druckguss-bmw-setzt-auf-mehrplatten-werkzeugtechnik

[ii] https://www.bmwgroup-werke.com/landshut/de/aktuelles/2023/erster-guss-in-neuer-high-tech-leichtmetallgiesserei.html