Um ihre Funktion optimal erfüllen zu können, müssen komplexe Werkzeugmaschinen wie Fräsmaschinen unter möglichst idealen Bedingungen eingesetzt werden, was beispielsweise die Prozessgestaltung und -auslegung anbetrifft. Hierbei besteht oft ein Dilemma, zwischen dessen Extremen abgewogen werden muss: Zwar sorgen gesteigerte Prozessparameter bei Zerspanprozessen für eine erhöhte Produktivität, jedoch kann dies bei ungünstigen Prozessauslegungen zu Einbußen in der Qualität der gefertigten Produkte führen. Zudem können die verwendeten Werkzeuge und Maschinen in Folge erhöhter Belastungen schneller verschleißen. Auch bezüglich der Kosten- und Energieeffizienz wirkt sich die Prozessgestaltung wesentlich aus. Aufgrund einer multifaktoriellen Kostenstruktur und vieler Einflussgrößen sind aber auch hierzu viele Daten und oft aufwändige Optimierungszyklen notwendig. Somit gilt es, verschiedene Variablen und Einflussfaktoren ebenso in Betracht zu ziehen wie divergierende Ziele der Produktion.
Um Fertigungsprozesse zu optimieren ist es eine Option, Maschinen mit einem Vielerlei an Sensoren auszustatten und die entsprechenden Zielgrößen schlicht während der Produktionsprozesse empirisch zu messen. In einer idealen Variante würden diese Messungen direkte Effekte beim Herstellungsprozess zeigen und so das produktive Optimum durch Anpassungen erreicht werden können. Wie üblich ist dies in der Wirklichkeit nicht ganz so einfach: Ein zentraler Einflussfaktor für die Werkstückqualität und den Verschleiß der Werkzeuge ist beispielsweise die Temperatur, die an den Werkzeugschneiden wirkt. Leider ist es mit den sensorischen Mitteln und Instrumenten der Gegenwart nicht oder nur mit extremem Aufwand möglich, die Temperatur ausreichend exakt zu ermitteln. Ähnlich verhält es sich bei der empirischen Bestimmung der mechanischen Belastungen. Um den Fertigungsprozess dennoch optimieren zu können, bietet sich unter solchen Konditionen die Simulation als Instrument der ex-ante-Modellierung und der multivariaten Evaluierung von Fertigungsprozessen und Werkdesigns an. Auch auf makroskopischer Ebene, d. h. bei Betrachtung ganzer Prozesse, bieten Simulationsexperimente verschiedene Möglichkeiten, Prozesse ohne Produktionsunterbrechungen und Materialeinsatz schneller und somit kostengünstiger gestalten und verbessern zu können.
Die Effizienz von Simulationen
Dr. Andreas Wirtz trat zum August 2022 die Professur für Fertigungstechnik und virtuelle Prozessgestaltung innerhalb der Fakultät für Maschinenbau an der Hochschule Schmalkalden an. 2019 promovierte er an der TU Dortmund im Bereich der simulationsgestützten Auslegung energieeffizienter NC-Fräsprozesse. Sein Forschungsschwerpunkt war hierbei die Mehrzieloptimierung von Fräsprozessen unter Berücksichtigung der Werkstückqualität, benötigten Prozesszeit und dem Energiebedarf. Hierzu gehörte die modellbasierte Abbildung und Vermeidung regenerativer Werkzeugschwingungen, welche zu einer unzureichenden Werkstückqualität und erhöhtem
Werkzeugverschleiß oder Werkzeugversagen führen können. Neben der Werkstückqualität stand auch der Energieverbrauch in seinem Fokus: Welche Vor- und Nachteile bieten verschiedene Bearbeitungszentren und Prozessauslegungen unter den Parametern der Werkstückqualität, der Produktivität und der Energieeffizienz? Oder anders: Unter welchen Zielvorgaben ist welche Maschine mit welchen Parametereinstellungen für welche Verfahren am besten geeignet? Die computergestützte Simulation von Fertigungsprozessen bietet hierbei den Vorteil, bereits vor der Durchführung kosten- und aufwandsintensiver Versuche und Anpassungsmaßnahmen optimierte Prozesse zur effizienten Herstellung von Produkten mit anforderungsgerechter Qualität gestalten zu können. So können Neuplanungen und Anpassungsmaßnahmen besonders auch für flexible Fertigungssysteme effizient geplant und virtuell erprobt werden.
Smarte Kreisläufe in der industriellen Produktion
Die Simulation sowohl von Produktionsprozessen als auch von komplexen Fabriken gewinnt im Zuge der Einführung von Maßnahmen zur Digitalisierung, Vernetzung und Autonomisierung der industriellen Produktion sowie deren Verschränkung mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien an immer mehr Einfluss. Auch wenn es dem Begriff selbst an konzeptioneller Schärfe mangelt werden diese Transformationen in der öffentlichen Debatte häufig unter dem Signum Industrie 4.0 rubriziert. Ziel ist es, ganze Wertschöpfungsketten in Echtzeit zu optimieren und bei laufender Produktion flexibel auf Veränderungen der Anforderungen, innerhalb der Prozesse selbst und beispielsweise der Umweltbedingungen reagieren zu können. Dies meint, dass in den langen und komplexen Produktionsketten der modernen Industrie die Verzögerung eines Teilabschnitts nicht den gesamten Prozess aufhält, sondern sich dieser umstellt und seine verschiedenen Abläufe anpasst.
Das Zielsystem, um das es hier geht, ist also kein statisches, sondern ein flexibles, das sich je nach Faktoren, Bedingungen, verändern kann. Ein Aspekt in dieser komplexen digitalisierten Organisation der Produktion sind die Fertigungsprozesse selbst, also zum Beispiel die Fräsprozesse. Die Digitalisierung bietet dabei zugleich die Möglichkeit, natürliche Ressourcen zu schonen und dem Aspekt der Nachhaltigkeit ein ihm gebührendes Gewicht zuzuerkennen. Über die digitale Vernetzung des Produktionsprozesses besteht auch die Chance, anforderungsgerechte, effiziente Verfahren zu etablieren.
Ein Teilaspekt dieser Digitalisierung ist wiederum die Simulation der Herstellungsprozesse zum Beispiel in Form digitaler Zwillinge. Diese virtuellen Abbilder mitunter ganzer Fabriken dienen der Analyse und Evaluation von Anpassungsmaßnahmen und deren Effektivität, um schließlich die Flexibilität der ganzheitlichen Produktion und ihr Leistungsniveau abschätzen zu können. Durch Integration von Simulationsmodellen können Anpassungsmaßnahmen in verschiedenen Varianten vor dem Ausrollen erprobt und validiert werden.
Schutzschichten in unwirtlichen Umgebungen
Ein bereits abgeschlossenes Forschungsprojekt unter Mitwirkung von Prof. Wirtz ist die mechanische Nachbehandlung von Korrosionsschutzschichten. Hierbei geht es um den Schutz der von ihrer Umwelt stark belasteten Strukturelemente beispielsweise von Offshore-Windenergieanlagen. Damit sich die Investitionen in die Windkraft nachhaltig lohnen, sollten die Anlagen so lange wie möglich ohne Beschädigungen und notwendige Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten auskommen können. Die rauen klimatischen Bedingungen der Nordsee vor Augen wird klar, wie groß die Herausforderungen für die verwendeten Materialien sind, die langfristig Schutz vor Wasser, Wind und Salz bieten müssen.
Diese protektive Qualität können einerseits die verwendeten Materialen einholen, andererseits aber auch über spezielle Verfahren der mechanischen Bearbeitung der Schutzschichten erreicht werden. Über das nachträgliche maschinelle Oberflächenhämmern werden Schutzbeschichtungen nicht nur dichter und härter, die Oberfläche wird weniger rau und porös. Folglich bieten diese Schichten weniger Angriffsfläche für Umwelteinflüsse und Korrosion. Durch die Einbringung von Druckeigenspannungen mittels der mechanischen Nachbehandlung können auch die negativen Effekte der mechanischen Belastungen der Werkstücke durch Wind und Wellen, wie die Bildung und Ausbreitung von Mikrorissen gehemmt werden. Auch wenn also die Korrosions- und Ermüdungsvorgänge nicht vollständig aufgehalten werden können, so können ihre Auswirkungen doch miniminiert und die Haltbarkeit der Bauteile der Offshore-Windräder verlängert werden. Gleichzeitig können auf diese Weise die durch die verwendeten Beschichtungen erzeugte Umweltbelastung sowie notwendige zusätzliche Nachbehandlungsschritte, wie organische Beschichtungen, reduziert werden.
Kooperative Kontakte
Prof. Wirtz wurde im Sommer 2022 als erster Juniorprofessor an die Hochschule Schmalkalden im Rahmen einer Tandem-Professur in Kooperation mit der GFE, der Gesellschaft für Fertigungstechnik und Entwicklung Schmalkalden e. V., berufen. Als Teil des bundesweiten Förderprogramms „FH-Personal“ sollen diese Professuren Nachwuchswissenschaftlern den Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere erleichtern. Zu gleichen Teilen arbeitet, lehrt und forscht Prof. Wirtz nun an der Hochsuche und der GFE: Neben seiner Professur ist er gleichzeitig wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Gesellschaft für Fertigungstechnik und Entwicklung. Ihm bietet sich so die Gelegenheit, sich neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Forschung und Lehre auch für Fachhochschulprofessuren weiterzuqualifizieren. Letztere verlangen aufgrund ihrer Schwerpunktlegung auf Fragen der Anwendung eine mehrjährige Tätigkeit außerhalb des Hochschulbereichs und dementsprechende aberufspraktische Erfahrungen.
Kurzum werden somit also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, was aber letztlich der Vereinfachung des Berufseinstiegs von Wissenschaftler:innen wie Prof. Wirtz zu Gute kommt. Im Rahmen der Tandem-Professur kann er nicht nur Forschung und Lehre produktiv verbinden, sondern auch angewandte Wissenschaft und Forschungstransfer mit der Grundlagenforschung. Diese sich so bietenden Möglichkeiten der Kombination, verknüpft durch räumliche Nähe und den kooperativen Dialog der Hochschule Schmalkalden und der GFE, macht einen Reiz dieser Stelle aus.